Unsichere Alibis und zweifelhafte Gönner

■ Der mutmaßliche Kriegsverbrecher John Demjanjuk im Kreuzverhör / Zeugin der Verteidigung bezweifelt Echtheit der Unterschrift auf der SS–Kennkarte / Dem Angeklagten fehlt es zwar an Glaubwürdigkeit, aber dem Staatsanwalt mangelt es an Schuldbeweisen

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Im Prozeß gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher John Demjanjuk hat die amerikanische Psychologin Edna Roberson als Zeugin der Verteidigung Zweifel an der Echtheit des wichtigsten Beweisstückes geäußert. Robertson, die als Expertin für Handschriften vorgestellt wurde, vertrat die Ansicht, daß die angebliche Unterschrift des Angeklagten auf einer Kennkarte der SS nicht echt sei. Sie unterstützte damit die These der Verteidigung, die das von der Sowjetunion zur Verfügung gestellte Dokument für eine Fälschung hält und verwies auf insgesamt 17 Beispiele von Hand schriften des Angeklagten. Die Frage des Richters Dov Levin, ob sie der Auffassung sei, Demjanjuk habe die Karte nicht unterschrieben, beantwortete die Zeugin mit „Ja“. Der aus der Ukraine stammende Demjanjuk wird beschuldigt, während des Krieges als Hilfsfreiwilliger im nationalsozialistischen Vernichtungslager Treblinka an Massenmorden beteiligt gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, er sei im deutschen Kriegsgefangenenlager Travniki von der SS angeworben worden und habe danach die Kennkarte erhalten, die nun dem Gericht vorliegt. Doch Demjaniuk behauptet, nicht mit „Iwan dem Schrecklichen“ aus Treblinka identisch zu sein und sich nie in dem Lager aufgehalten zu haben. Das Alibi und die Glaubwürdigkeit des Angeklagten standen diese Woche im Mittelpunkt des Kreuzverhörs der Staatsanwälte. Zur Frage seines Aufenthalts 1942/43 beharrt Demjanjuk darauf, daß er nach seiner Zeit in deutscher Kriegsgefangenschaft Mitglied der Wlassow–Armee war. Andrej Wlassow, Mitglied der Roten Armee, stellte sich nach seiner Gefangennahme durch die Deutschen dem antisowjetischen nationalistischen „russischen Komitee“ zur Verfügung und führte seit 1942 zwei Divisionen aus russischen Kriegsgefangenen an. Demjaniuk gab zu, bei seiner Umsiedlung in die USA im Fragebogen der Flüchtlingsbehörden der Vereinten Nationen im Jahre 1947 falsche Angaben gemacht zu haben, um zu vermeiden, daß er an die Sowjetunion ausgeliefert wird. Damals hatte er behauptet, polnischer Bauer zu sein. Zehn Jahre später, als er die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragte, habe er die Angaben korrigiert. Das Kreuzverhör Demjanjuks endete mit einer kategorischen Aussage von Staatsanwalt Schaked, der dem Angeklagten ins Gesicht sagte: „Nach all den Zeugenaussagen und dem langen Kreuzverhör muß ich zum Schluß kommen, daß Sie Iwan der Schreckliche sind.“ Doch Demjanjuk antwortete nicht weniger bestimmt: „Sie haben keinerlei Beweis dafür, daß ich in Treblinka war oder daß ich Iwan bin. Wo sind ihre Fakten? Ihnen gelingt es nur, mich zu verwirren. Aber das ist kein Beweis.“ Dem Gericht fiel es bisher relativ leicht, Demjanjuks Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen und sein Alibi zu widerlegen. Aber den po sitiven Beweis für Demjanjuks Identität mit „Iwan dem Schrecklichen“ zu erbringen, wird Schwierigkeiten bereiten. Eine wichtige Rolle bei der Verteidigung Demjanjuks spielt Jerome Brentar, ein Freund des Angeklagten, der diese Woche dem Prozeß in Jerusalem kurz beiwohnte. Nach dem Krieg war Brentar zahlreichen Ostflüchtlingen, darunter auch Demjanjiuk, bei der Umsiedlung in die USA behilflich. Sein Chef war damals der amerikanische Kommissar für Flüchtlinge, Edward OConnor, dessen Sohn Mark Demjanjuk zuerst in den USA, dann bis vor kurzem in Israel verteidigte. Brentar soll auch bei der Finanzierung der Verteidigung eine zentrale Rolle spielen. In einem Interview des Jerusalemer Magazins Koteret Raschit erklärt Brentar, der sowjetische Geheimdienst KGB habe den Fall Demjanjuk mit Hilfe des gefälschten Trawniki–Dokuments als Propaganda–Operation gegen die vielen tausend ukrainischen Emigranten in den USA lanciert. Es sei nicht das Ziel gewesen, Demjanjuk persönlich zu schaden, sondern Streitigkeiten zwischen den ausgewanderten Ukrainern zu schüren. Befragt nach der Falschaussage Demjanjuks bei seiner Einreise erklärte Brentar, er selbst hätte den Flüchtlingen zu Notlügen geraten, damit sie sich in den Westen retten könnten. Aus dem Interview geht weiter hervor, daß der Demjanjuk–Gönner Mitglied einer internationalen „St. Rafael– Organisation“ ist, die prominenten Nazis wie Adolf Eichmann und Franz Stangl zur Flucht verholfen hätten. Brentan kam nicht mit leeren Händen nach Jerusalem: Er brachte eine neue Broschüre in englischer Sprache mit dem Titel „Opfer des Holocaust - lesen Sie John Demjanjuks Geschichte“ mit. Autor ist der 55jährige bundesdeutsche Journalist Hans Peter Rolmann. Seine Broschüre zur Entlastung Demjanjuks wurde vom ukrainischen Zentrum in Newark, New Jersey, herausgegeben. Der Journalist ist von der Unschuld des Angeklagten überzeugt.