piwik no script img

Ein Atomkoloß in polnischer Provinz

■ AKW– und Endlager–Pläne der Warschauer Regierung stoßen auf Widerstand in der Bevölkerung

In dem kleinen Dorf Klempicz, nicht weit von Poznan, plant die polnische Regierung einen der größten Atomparks Europas. Vier große Reaktorblöcke sollen hier im nächsten Jahrzehnt entstehen. Als Endlager für den Atommüll soll eine ehemalige Bunkeranlage der deutschen Wehrmacht herhalten. Doch die Bevölkerung ist - vor allem seit Tschernobyl - mißtrauisch. Der Widerstand gegen die Atomkraft wird zunehmend stärker.

Die Entscheidung zum Bau des zweiten polnischen Atomkraftwerkes ist gefallen. Das verkündete Trybuna Ludu, das Zentralorgan der polnischen KP. Das Kraftwerk „Warta“ soll bei Klempicz in der Wojewodschaft (Bezirk) Pila anstehen, 49 km vonPoznan (Posen) entfernt, mit 550.000 Einwohnern eine der größten polnischen Städte. Von den geplanten vier Blöcken a 1.000 Megawatt Leistung soll der erste 1997 ans Netz gehen. Baubeginn: nächstes Jahr. „Warta“ soll 20 Prozent der gegenwärtig in Polen erzeugten Energie allein produzieren, so Trybuna Ludu, und außerdem die Stadt Poznan mit Fernwärme versorgen. Gebaut wird das Atomkraftwerk unter polnischer Beteiligung von der Sowjetunion. Doch wiesen die Behörden eigens darauf hin, daß es sich nicht um den Tschernobyl–Typ handele und daß die Sicherheitsbestimmungen den Vorschriften der Internationalen Atomenergiebehörde entsprächen. Die Regierung versucht erneut, die Atomenergienutzung als völlig ungefährlich und für die wirtschaftliche Entwicklung höchst bedeutungsvoll darzustellen. Die Bevölkerung sieht das anders. Tschernobyl markierte hier den Wendepunkt. Hatten die Polen sich zuvor um Atomenergie kaum gekümmert - so rüttelte der Supergau in der Ukraine die Bevölkerung auf. Im Mai 1987 wurde in der Region Klempicz ein Untergrund– Flugblatt verteilt, das von den regionalen „Solidarnosc“–Strukturen und der Bewegung „Freiheit und Frieden“ unterzeichnet war, Titel: „Atombombe in Großpolen“ (Großpolen ist die traditionelle Bezeichnung der Region). Ohne jede Konsultation der Bevölkerung, so wird darin bemängelt, entschieden die Zentralbehörden über den Bau des AKW, das 750 Milliarden Zloty kostet. Im 30–km–Bereich unmittelbarer Bedrohung um das AKW, so heißt es weiter, leben etwa 100.000 Menschen. Die Sicherheitseinrichtungen würden westlichen Bestimmungen nicht entsprechen, es würde auch im Normalbetrieb atomare Strahlung an die Umwelt abgegeben. Der Bau des AKW selbst sowie der notwendigen Transport–Strukturen würde das in diesem Teil Polens größte Waldgebiet weitgehend zerstören. Hingewiesen wird in dem Flugblatt auch auf die Gefahr der Verseuchung der Flüsse und die Be drohung für die Landwirtschaft. Außerdem werde in der polnischen Wirtschaft zweimal mehr Energie vergeudet, als der Gigant „Warta“ überhaupt produzieren könne. In dem Flugblatt wird ein Volksentscheid über den Bau des AKW und über die Atomenergie in Polen gefordert. Die Bevölkerung wird ermuntert, massenhaft entsprechende Schreiben an die Behörden zu richten. Endlager im Wehrmachtsbunker Das Echo dieses und ähnlicher Aufrufe ist groß. Viele Polen bezweifeln, daß die Regierung ihre Pläne so leicht wird durchsetzen können. Nicht allein in den unmittelbar betroffenen Gebieten, sondern weit darüber hinaus formiert sich eine polnische Anti–AKW– Bewegung. Besonders stark entwickelt sich die Bewegung in Wissenschaftlerkreisen und unter den Landwirten. Vielfach entstehen örtlich Initiativkreise. Unterstützt von den älteren oppositionellen Strukturen werden Veranstaltungen und Seminare organisiert, Unterschriften gesammelt, wird vor allem Informationsarbeit geleistet. Protestaktionen nehmen zu, die junge und stark ökologisch orientierte „Bewegung Freiheit und Frieden“, die „polnischen Grünen“ werden sie in der Bevölkerung schon genannt, tritt dabei besonders hervor. Proteste hatte schon das erste, noch im Bau befindliche polnische AKW bei Zarnowiec an der Ostsee, 50 km nordöstlich von Gdansk, ausgelöst. In dessen Umgebung sieht man nicht selten Aufkleber mit der Aufschrift „Zarnobyl“. Im letzten Jahr konnte man einem offiziellen Gutachten des Wissenschaftler–Teams entnehmen, daß schon beim Bau Risse in den Fundamenten des Reaktors auftraten. Entsprechende Proteste der Bevölkerung führten zu einem vorläufigen Baustopp, der aber wieder aufgehoben wurde. Das AKW bei Zarnowiec soll 1989 in Betrieb gehen. Eine vielleicht noch gefährlichere „bomba atomowa“ soll nach den Vorstellungen der Regierung bald unweit von Klempicz in Miedzyrzecz (Meseritz) in der Wojewodschaft Gorzow (Landsberg/Warthe) ticken, keine 150 km von Berlin entfernt. Hier ist ein großes Atommüll–Endlager geplant. Geeignet erscheint der polnischen Regierung dieser Standort vor allem wegen der dünnen Besiedelung des Gebietes. Aber die Großstadt Frankfurt/Oder ist nur 70 km, Poznan (Posen) 95 km entfernt. Die Wahl der polnischen Behörden scheint vor allem aus Kostengründen gerade auf Miedzyrzecz gefallen zu sein; denn sie planen, für die Lagerung der radioaktiven Abfälle die umfangreichen Bunkeranlagen zu nutzen, die dort im Zweiten Weltkrieg für die deutsche Wehrmacht errichtet wurde. Damals sollten sie als uneinnehmbares Befestigungswerk den Vormarsch der Roten Armee stoppen. Heute sollen die gigantischen Betonanlagen der sicheren und billigen Unterbringung von Atommüll dienen. In den Bunkern soll zunächst der Atommüll aus den polnischen Atomkraftwerken eingelagert werden. Darüber hinaus liebäugelt die polnische Regierung mit dem Gedanken, sie als Devisenbringer einzusetzen. In Kreisen der polnischen Opposition kursiert gar die Behauptung, den eigentlichen Anstoß für die Lagerpläne in Miedzyrzecz hätten entsprechende Anfragen westlicher Staaten gegeben, auch aus der Bundesrepublik. Seit vor etwa zwei Jahren die Absichten der Regierung mit Miedzyrzecz bekannt wurden, formierte sich der Widerstand. Verstärkt wurde er durch den Unfall in Tschernobyl. Speziell gegen den Standort wird argumentiert, daß der Beton eine schlechte Qualität hat und umfangreiche Schäden nicht zu übersehen sind. Viele Bunker stehen z.T. meterhoch unter Wasser. Wissenschaftler wiesen vor kurzem darauf hin, daß es Grundwasserverbindungen bis nach Berlin gibt. In Miedzyrzecz und Umgebung haben schon zahlreiche Menschen gegen das Atommüllager protestiert. Die Stimmung ist so eindeutig „anti“, daß sich dem auch offizielle Organisationen anschließen. Unterstützung erhalten die örtlichen Aktivisten aus ganz Großpolen, besonders aus der Stadt Poznan und dem ganzen Land. Die „Solidarnosc“ und die „Bewegung Freiheit und Frieden“ bemühen sich nun, auch über die Staatsgrenzen hinweg eine Zusammenarbeit im Widerstand gegen das Atommüllager zu organisieren. Denn von einem schweren Unfall wären die DDR und Berlin ebenso betroffen wie Polen selbst. Luwa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen