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Haft verbüßt - Geschichte bewältigt?

■ Zwei Ost–Berliner Architekten mußten 1984 in den Knast: Sie hatten sich ohne Genehmigung der DDR an einem West–Berliner Ideenwettbewerb zur Gestaltung des ehemaligen Gestapo– und SS–Geländes an der Mauer beteiligt / Die taz sprach mit dem Architekten Bernd Ettel, der nach über zwei Jahren Haft ausreisen durfte

taz: Sie und Christian Enzmann waren die beiden einzigen DDR– Architekten, die sich 1984 am IBA– Ideenwettbewerb zur Gestaltung des Gestapo– und SS–Geländes beteiligt haben. Was hat Sie bewogen, daran auch ohne offizielle Erlaubnis teilzunehmen? Dr. Ettel: Um das zu erklären, sollte man kurz auf die Vorgeschichte eingehen. Seit 1978 arbeiteten Christian Enzmann und ich als Architektenteam zusammen. Wir waren wissenschaftliche Mitarbeiter an der Bauakademie, das ist eine zentrale Wissenschaftsinstitution in der DDR. Nebenbei beteiligten wir uns an Wettbewerben und Ausschreibungen in der DDR. Unser vornehmliches Arbeitsgebiet war die Friedrichstadt, also ein Gebiet, zu dem auch das ehemalige Gestapogelände gehört. Dazu gab es mehrere Wettbewerbe und 1980 sind wir bei einem auch als Sieger hervorgegangen. Wir wollten keine Null–acht– fünfzehn–Bauten, wie sie in Marzahn (Trabantenstadt in Ost–Berlin, d.Red) praktiziert werden, sondern wir sind um eine sehr hohe Architekturqualität bemüht. Ich nenne es mal Architektur als Kunst. Gerade in dieser ge schichtsträchtigen Gegend muß man der Vergangenheit irgendwie gerecht werden. Und dann rückte der Sommer 1983 heran, und wir erfuhren von dem IBA–Wettbewerb. Daraufhin haben wir in einem Schreiben an den Bund der Architekten und an das Ministerium für Bauwesen der DDR den Antrag gestellt, uns an diesem Wettbewerb teilnehmen zu lassen. Das hat man abgelehnt. Sinngemäß hieß es, es bestehe kein Interesse, und man wüßte nicht, ob dieser Wettbewerb als Provokation ausgeschrieben sei. Da waren wir so enttäuscht, daß wir uns gesagt haben, so geht das nicht weiter, wir müssen uns irgendwas einfallen lassen. Na ja, auf Umwegen gelangten unsere Entwürfe dann zur IBA. Aber noch einmal zurück zu Ihrer Motivation. War es nur persönlicher Frust? Es gab zwei Gründe. Zum einen handelte es sich um ein Gebiet, mit dem wir uns schon lange beschäftigten. Wenn wir für die nördliche Friedrichstadt auf DDR–Gebiet planten, versuchten wir immer zu sehen, was unsere Kollegen im Westen machten. Die Mauer ist zwar im Moment ein trennendes Element, aber die ganze Fried richstadt ist geschichtlich so entwickelt, daß man sie nur als Einheit betrachten kann. Mit dieser Meinung standen wir freilich allein auf weiter Flur. Zweitens war für uns wichtig, daß es ein Denkmal gegen den Faschismus sein sollte. Bei der Aufarbeitung von Geschichte sind wir genau so gefordert wir Architekten in der Bundesrepublik. Sie haben zwar keinen Preis gewonnen, in Fachkreisen wurde Ihre Arbeit aber als „beachtenswerter Beitrag“ bezeichnet. Wie sah Ihr Vorschlag aus? Mit unserem Entwurf wollten wir Geschichte erfahrbar machen, und dachten an eine begehbare Anlage. Wenn man als unbedarfter Mensch oder als Schülergruppe hindurchgeht, sollte man erfahren, was in der faschistischen Diktatur passiert ist. In Form von vier Mauerquadraten wollten wir die vier Entwicklungsstadien der faschistischen Diktatur darstellen: Die Grenzziehung, die Selektion von Minderheiten samt Aufbau eines Kontroll– und Überwachungsnetzes. Die physische Vernichtung, angefangen von Berufsverboten bis hin zu den Vernichtungslagern und schließlich die Expansion. Darüber hinaus wollten wir einen aktuellen Bezug zur Gegenwart herstellen. Das macht wohl die Brisanz aus. Die Anlage sollte solange bestehen, wie es Diktaturen oder Staatsformen mit Elementen einer Diktatur gibt. Das sollte anhand einer Kranbahnanlage dargestellt werden, die Elemente, die Menschen symbolisieren, hochhebt und zum Ort des ehemaligen Prinz–Albrecht–Palais transportiert. Also zu dem Ort, wo diese Gedanken und Befehle ausgeheckt wurden. Ihre inoffizielle Beteiligung hat für Sie ein folgenreiches Nachspiel gehabt. Sie wurden zu über zwei Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Was wurde Ihnen vorgeworfen? Gefängnisstrafen hatten wir in der Tat nicht einkalkuliert. Wir dachten, daß sei zwar am Rande der Legalität, würde aber schließlich doch als Unmut zweier junger Architekten hingenommen werden. Zunächst passierte gar nichts, obwohl wir den Staatssekretär im Ministerium für Bauwesen über unsere ungenehmigte Teilnahme informiert hatten. Wir wollten niemanden hinters Licht führen. In der Rückantwort hieß es dann auch nur, daß das nicht den gesetzlichen Regelungen entspreche. Für den weiteren Vorgang ist wichtig, daß wir zwischenzeitlich an zwei städtebaulichen Wettbewerben der DDR mitmachten und in Form einer Facharbeit Kritik an den Architekturplanungen der DDR übten. Die wurden aber beschlagnahmt und unsere Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiter eingeschränkt, so daß wir beide schließlich Ausreiseanträge stellten. Die wurden jedoch abgelehnt, und fortan fühlten wir uns vom Staatssicherheitsdienst beobachtet. Mit dem lapidaren Satz „zur Klärung eines Sachverhaltes“ wurden wir dann am 5. Juli 1984 morgens früh vor unseren Wohnungen festgenommen. Es folgte ein 22stündiges Verhör ausschließlich zum Prinz–Albrecht–Gelände. Man vermutete, wir hätten einen intellektuellen Angriff auf die DDR geplant und wollten uns draußen als Regimekritiker zur Forcierung der Ausreise profilieren. Ein Jahr saßen wir in U–Haft. Wenige Monate vor Abschluß der ganzen Untersuchungen trat dann etwas Merkwürdiges ein. Plötzlich wurden unsere letzten beiden kritischen Arbeiten in die Untersuchungen einbezogen. Wir wurden der „Herabwürdigung der Bau– und Friedenspolitik der DDR“ angeklagt. Beim Prinz–Albrecht–Gelände hieß der Vorwurf illegale Kontaktaufnahme mit dem West– Berliner Senat. In der Anklageschrift wurde dieser Vorwurf aber plötzlich fallengelassen. Wie erklären Sie sich diese Wende? Ich vermute, man hat die IBA– Teilnahme aus taktischen Gründen fallengelassen. Der IBA– Wettbewerb hatte ja ein internationales Echo hervorgerufen. Wenn nun bekannt geworden wäre, daß zwei Architekten deswegen verurteilt wurden, hätte das internationales Aufsehen erregen können. Das muß ein ganz kurzfristiger Entschluß gewesen sein. Denn in dem Gutachten, das im Gerichtssaal verlesen wurde, und von Professor Graffunder, dem Erbauer des Palastes der Republik, erstellt worden war, kam die Prinz–Albrecht–Geschichte noch zur Sprache. Ich bin dann zu zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden und Christian Enzmann zu 20 Monaten. Die Strafe haben wir in zwei unterschiedlichen Gefängnissen abgesessen. Christian Enzmann ist im März 1986 gegen seinen Willen in die DDR entlassen worden. Nachdem ich 90 Prozent der Haftstrafe verbüßt hatte, wurde ich über den Weg des Freikaufens im Dezember 1986 in die Bundesrepublik entlassen. Warum konnten nur Sie in die Bundesrepublik ausreisen? Da kann man nur spekulieren. Während ich mich von allen engeren Kontakten gelöst hatte, ist Christian Enzmann verheiratet und kommt aus einer hochkarätigen Akademikerfamilie. Seine Gattin hatte außerdem in der Forschung gearbeitet. Ich vermute, irgendwelche Geheimnisträger– Sachen haben da eine Rolle gespielt. Seit ich in der Bundesrepublik bin, habe ich mich bemüht, über Franz–Josef Strauß und Richard von Weizsäcker, der damals Regierender Bürgermeister von West–Berlin war, eine Ausreisegenehmigung für meinen Kollegen zu erhalten. Bewegt hat sich jedoch nichts. Vielleicht wird sich jetzt im Vorfeld des Honecker–Besuches etwas ergeben. Wie hat das Urteil auf Sie gewirkt? Psychologisch war das für mich katastrophal. Das Gefühl, zum Verbrecher gestempelt zu werden, obwohl man eine ganz redliche Absicht verfolgt hat, das war schon fast ein Prozeß „entartete Kunst“. Während ich das Gericht von der Redlichkeit unserer Absichten überzeugen wollte, sprach der Richter immer von Verwerflichkeit und dem republikfeindlichen Charakter. Schlimm war auch das Gefängnis, wo man nicht mehr mit den Politischen, sondern mit den gemeinen Kriminellen zusammen war. Als ich hier ankam, war ich im wahrsten Sinne des Wortes fertig. Das Gespräch führte Martha Sandrock

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