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Treu im Guten wie im Schlechten

■ Nach anfänglichem Zögern hat sich Bulgarien der sowjetischen Reformprogrammatik angeschlossen / Ältere Reformgedanken für die Wirtschaft werden wieder aktiviert / Auch in Partei und Staat soll sich einiges ändern / Der ideologische und politische Führungsanspruch der Partei bleibt jedoch unangetastet

Von Wolfgang Höpken

Der bulgarischen Parteiführung geht das Image voraus, in Sofia den Regenschirm aufzuspannen, wenn es in Moskau zu regnen beginnt. In der Tat sind die Beispiele rar gesät, in denen es die bulgarische Politik in wichtigen Fragen gewagt sich, sich vom innen– und außenpolitischen Weg der Sowjetunion zu entfernen. Extravaganzen, die im Geruche der „Abweichung“ stehen könnten, hat man in Bulgarien ohnehin stets vermieden. Gleichwohl wird es dem Land und seiner politischen Führung nicht gerecht, Bulgarien schlicht und einfach als „16. Sowjetrepublik“ abzutun. Die bulgarische Landwirtschaftspolitik etwa, die schon relativ früh jene für die Sowjetunion typische und folgenschwere Vernachlässigung des Agrarsektors überwunden hat; die bereits 1979/80 begonnene vorsichtige Auflockerung der zentralistischen Planwirtschaft; oder auch die schon seit längerem be stehende joint–venture–Gesetzgebung machen deutlich, daß das Land ungeachtet der bisweilen servil klingenden pro–sowjetischen Parolen zu gewisser Eigenständigkeit in der Lage ist. Das erste Jahr der Ära Gorbatschow wurde in Sofia eher aus einer abwartenden Position heraus beobachet. Man startete zwar seine eigene Anti–Alkoholismus– Kampagne, Maßnahmen gegen „negative Erscheinungen“, - mangelnde Disziplin, Nepotismus und Korruption - waren den Sowjets abgeschaut. Verhalten tauchte auch der Begriff der „glasnost“ auf, wenn auch bis heute nicht mit dem gleichen programmatischen Charakter wie bei Gorbatschow. Vor allem nahm man die Arbeit an einer Wirtschaftsreform wieder auf, die man Anfang der 80er Jahre begonnen hatte und die mittlerweile weitgehend versandet war. Alle diese Maßnahmen lassen sich als Anleihe bei der Gorbatschowschen perestrojka–Politik deuten. Sie waren jedoch eher Loyalitätssignale und enthielten sich zunächst noch einer demonstrativen Unterstützung des sowjetischen Generalsekretärs. Wirtschaftsreformen Offen und nunmehr mit einer Euphorie, wie sie sonst nur aus Polen zu hören ist, hat man sich jedoch nach dem Januar–Plenum des ZK der KPdSU hinter die „Perestrojka“ gestellt. Anders als in der DDR oder gar in Rumänien hat man dabei auch die Bedeutung der sowjetischen Reformen für das gesamte sozialistische Lager unterstrichen. Die bulgarische Parteiführung verwendet seither ebenfalls den Begriff „Umbau“ (preustrojstvo). Vergleicht man sowjetische und bulgarische Reformintentionen, so lassen sich insbesondere bei den wirtschaftlichen Reformmaßnahmen Parallelen erkennen. Ähnlich wie in der UdSSR zielen auch die bulgarischen Reformen auf eine Autonomisierung der Betriebe und auf eine Überwindung des administrativen Plansystems durch ein Dialogsystem zwischen Staat und Betrieben. Preis, Zins und Lohn sollen die administrative Wirtschaftslenkung mittelfristig ersetzen, schrittweise sollen die Preise freigegeben und das Lohnsystem nach Leistung differenziert werden. Anstelle der staatlichen Garantie für Investitionen und Verluste der Betriebe sollen diese sich künftig mit Bankkrediten selbst finanzieren. Für ineffiziente Unternehmen ist dabei die Möglichkeit des Konkurses vorgesehen. Kooperativen und Nebenerwerbsmöglichkeiten sollen den Spielraum für private und semi–private Tätigkeiten erweitern - nicht nur, um den Mangel an Arbeits kräften zu überwinden, sondern auch um mit wenig Kapitaleinsatz die Produktion zu erhöhen und so die Versorgung mit Konsumgütern und Dienstleistungen zu verbessern. Allerdings: Bei aller Harmonisierung der politischen Strategien zwischen der UdSSR und Bulgarien, so sagte Schiwkow bei seinem Besuch in der Bundesrepublik im vergangenem Juni, entwickele doch jede Partei ihre eigene Perestrojka–Strategie. Gegenüber den sowjetischen Bemühungen um eine Wirtschaftsreform hat man in Bulgarien zeitlich die Nase vorn, und auch inhaltlich scheinen die bulgarischen Reformen weiter zu gehen als die sowjetischen Bemühungen - etwa bei der Nebenerwerbstätigkeit. Ende Juli hat Parteichef Schiwkow auf der letzten ZK–Sitzung auch Reformen am politischen System angekündigt. Die Struktur der obersten Regierungsorgane soll vereinfacht, Staatsrat und Ministerrat zusammengelegt werden. Bei der Wahl von Abgeordne ten soll künftig auf allen Ebenen die Auswahlmöglichkeit unter mehreren Kandidaten bestehen. Demokratisierungseffekt noch unklar Schon wenige Wochen zuvor hatte der bulgarische Parteichef eine Reform der Territorialverwaltung gefordert, um den Gemeinden größere Rechte auf lokaler Ebene einzuräumen. Auch die Massenorganisationen hatten sich auf ihren Kongressen im April und Mai zu notwendigen Reformen bekannt. Der reale Demokratisierungseffekt läßt sich dabei freilich noch nicht abschätzen. Am ehesten noch wird man mehr Demokratie wohl von der Ausweitung der Kandidatenzahl bei Wahlen erwarten dürfen, falls die Partei sich auch zu einer Liberalisierung des Nominierungsverfahrens der Kandidaten bereitfindet. Die anderen angekündigten Reformen laufen eher auf eine Erweiterung der operationalen Selbständigkeit der Massenorganisationen und der territorialen Einheiten auf unterer Ebene hinaus, ohne jedoch den Charakter der Massenorganisationen grundlegend zu wandeln. Reserviert hatte man sich in Sofia auch lange Zeit hinsichtlich einer innerparteilichen „Perestrojka“ gezeigt, wie sie Gorbaschow, wenn auch gegen den Widerstand in den eigenen Reihen, auf dem Januar–Plenum angemahnt hatte. Auf der Sitzung des Zentralkomitees im Juli hat er nun auch eine Reform der Rolle der Partei gefordert, die für bulgarische Verhältnisse derart utopisch anmutet, daß Zweifel an ihrer konsequenten Realisierung angebracht sind. Die führende Rolle der Partei wird dabei auch von Schiwkow nicht in Frage gestellt. Wohl aber fordert er, sie solle sich aus der administrativen Gängelung der Staats– und Wirtschaftsorgane zurückziehen und sich auf die Sicherung der strategischen Linie des sozialistischen Aufbaus, auf die Kaderpolitik sowie auf die ideologische Erziehung der Bevölkerung beschränken. Auch wenn damit die wesentlichen Lenkungsfunktionen der Partei unangefochten bleiben, - so ein solcher Schritt würde, seine konsequente Realisierung vorausgesetzt, sicherlich zu einer graduellen Demokratisierung beitragen. Schiwkow bleibt seiner Strategie treu: bescheidene Spielräume für nationale Akzentsetzungen nicht durch konzeptionelle Extratouren zu demonstrieren, sondern durch eine bewußte und unzweifelhafte Anpassung an den sowjetischen Kurs abzusichern. Es scheint, als sehe er dabei im neuen Kurs des sowjetischen Generalsekretärs eine Chance, die Spielräume in Maßen auszudehnen.

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