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Zyklon–B–Firma bewältigt Kritiker

■ Anhörung zu geplantem Chemiewerk der Degesch: Einwendungen ehemaliger KZ–Häftlinge ausgeklammert / Firmenchef: Vergangenheit kein Thema / Tochterfirmen in Südafrika und Chile

Aus Frankfurt Ralf Volk

„Unregelmäßigkeiten bei einer Firma vor 50 Jahren können heute bei einem Genehmigungsverfahren keine Rolle mehr spielen.“ Mit dieser Begründung klammerte Rechtsanwalt Wolfgang Martin vom Regierungspräsidium Darmstadt gestern die Nazi–Vergangenheit der Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung) während der Anhörungung zu einer geplanten Erweiterung dieser Firma aus. Die Degesch will ab April 1988 im Frankfurter Osthafen ein Werk zur Herstellung hochgiftiger Schädlingsbekämpfungsmittel betreiben (siehe taz vom 15.8.). Dagegen sind fast 600 Einwendungen von BürgerInnen, darunter Grüne und ehemalige KZ– Häftlinge, eingegangen. Die EinwenderInnen machen ökologische und moralische Bedenken gegen die Giftfabrik geltend. So sei ein Störfall, wobei knapp 100 Tonnen des Giftagases Phosphorwasserstoff frei würden, nicht auszuschließen. Dabei könnten nach Berechnung des Öko–Institutes Darmstadt mehrere Tausend Menschen getötet werden. Bedenken gegen das Werk wurden auch wegen der dunklen Vergangenheit der Degesch vorgebracht. Die Degesch, eine ehemalige IG–Farben–Tochter, war bis 1945 für die Herstellung des Giftgases Zyklon B verantwortlich, mit dem über 1,5 Millionen Menschen in Konzentrationslagern ermordet wurden. Der damalige Degesch–Direktor Gerhard Peters war Vorsitzender der Arbeitsausschusses „Raumentwesung und Epidemiebekämpfung“ des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion und zuständig für die Verteilung des Zyklon an die Wehrmacht. Vor Gericht sagte Peters damals, er habe sich für „eine menschenwürdige Tötung eingesetzt“, indem er dem Gift den Geruchswarnstoff entziehen ließ. Der zu fünf Jahren Verurteilte wurde 1955 vom Frankfurter Landgericht freigesprochen. Begründung: Es sei nicht nachweisbar, daß mit dem von Peters gelieferten Zyklon Menschen getötet worden seien. Ehemalige KZ–Häftlinge wiesen in der Anhörung darauf hin, daß eine Firma, die noch immer Zyklon produziere und eine solche Vergangenheit habe, auch ohne ökologische Bedenken untragbar sei. Firmen–Chef Rutkowski dazu: „Die Vergangenheit ist kein Kapitel für heute.“ Die EinwenderInnen wiesen auch auf die Tochterfirmen in Südafrika und und Chile hin: Wer mit solchen totalitären Regimen paktiere, dem sei auch zuzutrauen, daß er künftig wieder das Giftgas gegen Menschen einsetze.

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