Polizeistaatsparagraph

■ Zur Durchsuchungsaktion gegen Provinz–radikal

Die Bundesanwaltschaft bemüht sich nicht einmal, den Anschein zu erwecken, als meine sie ernst, was in ihrem eigenen Durchsuchungsbefehl steht. Ausgerechnet den Abdruck eines bereits folgenlos veröffentlichten Bekennerbriefes aus dem Jahr 1985 in einer Anfang 1987 erscheinenden Zeitung im beginnenden Herbst des Jahres als Begründung für eine 129a Ermittlung zu nehmen, ist schon recht unverfroren. Aber die Herren des Morgengrauens können sich das leisten. Die Öffentlichkeit ist anscheinend bereit, im Namen des Kampfes gegen das Böse fast alles an Lügen und Täuschungen ohne Murren und Aufhorchen hinzunehmen. Das Böse sind, zumindest derzeit, die Revolutionären Zellen und schlimmer noch „ihr feministischer Flügel“ Rote Zora, der gerade durch Anschläge auf die Adler–Werke wieder öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Den Wiesbadener Fahndern und den Karlsruher Verfolgern gelingt es zwar immer mal wieder, RAF–Mitglieder festzunehmen und einzusperren, gegenüber den RZ bleiben sie aber beharrlich erfolglos. Da scheinen ihnen zusehends alle Mittel und Mühendie zum Erfolg führen könnten, recht zu sein. Beliebig häufig willkürliche Durchsuchungs– und Beschlagnahmungsaktionen, hohe Strafen für Gesinnungsdelikte und Verurteilungen ohne eindeutige Beweise - der Paragraph 129a machts möglich. Er entwickelt sich, das zeigt sein Einsatz in der Praxis, mit jeder Reform ein bißchen mehr zu einem Polizeistaatsparagraphen. Oliver Tolmein