: Nord–Süd–Krach bei Italiens Christdemokraten
■ Mit Parteichef De Mita hat sich das politische Gewicht der DC–Führung deutlich nach Süden verschoben / Das große Kapital im Norden des Landes befürchtet Vergeltung für die systematische Vernachlässigung des „Mezzogiorno“ in den letzten vier Jahrzehnten
Aus Rom Werner Raith
„Deren Sorgen möchte ich haben“, brummt der christdemokratische Vize Enzo Scotti auf die Frage, ob es der Democrazia Cristiana (DC) mit ihrem innerparteilichen Streit ebenso ergeht wie den deutschen Kollegen. „Über die 15 Chilenen hat es bei uns keine Sekunde Diskussion gegeben, die will jeder bei uns retten...“ Was dem Vertrauten des Parteichefs Ciriaco De Mita verstört, ist ein anderer, allerdings nicht minder lauter Krach in seiner DC: Unversehens ist ein lange verdeckter Krisenherd wieder aufgebrochen - der Nord–Süd–Konflikt in Italiens seit 40 Jahren regierender Christenpartei. Der aus dem neapolitanischen Hinterland (Nusco bei Avellino) stammende Parteichef de Mita hat seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren das politische Gewicht der DC–Oberen deutlich nach Süden verschoben - das aber mißfällt zunehmend den machtgewohnten Mailändern, Turinern und Römern, die in 35 der 47 Nachkriegsregierungen den Ministerpräsidenten stellten. Sie blasen jetzt zum Sturm auf de Mita, heißen ihn „Terrone“ (Südstaatler–Schimpfname) oder verspotten ihn, wie unlängst Fiat– Chef Agnelli, als „Intellektuellen der Magna Graecia“ (Unteritalien war einst griechisch). Nichts zeigt nach Ansicht der De Mita–Kritiker die Süd–Verschiebung deutlicher als das neue Kabinett: Obwohl der Regierungschef Giovanni Goria ein reinrassiger Oberitaliener ist und so, theoretisch, die traditionelle piemontesische Oberherrschaft über ganz Italien repräsentieren könnte, hat er kaum Spielraum - so hat ihn der DC–Chef mit Süd– Ministern eingemauert: Nicht weniger als sechs wichtige DC–Ressortchefs, von den Finanzen über Transport bis zum Zivilschutz, stammen aus dem „Mezzogiorno“, d.h. aus Zonen südlich von Neapel. Die Parteileitung selbst liegt ebenfalls fest in Süd–Hand. Neben De Mita kommt auch Vize Scotti aus der Gegend um Neapel, der Bürochef der Partei–Zentrale aus den südlichen Abruzzen. Seinen Rückhalt bezieht De Mita dabei aus den respektablen Wahlerfolgen der DC im Süden, wo fast 40 Prozent der Katholikenpartei ihre Stimme gaben, während es im Landesdurchschnitt nur 34 sind. Solange der Mailänder Bettino Craxi mit großer Industriefreundlichkeit und mächtiger Durchtriebenheit die Regierungsgeschäfte führte, hatten die oberitalienischen Finanzherrscher und Trust– Barone wenig gegen Kabinettsmitglieder aus dem Süden einzuwenden; doch der Neuling Goria scheint ihnen wenig Gewähr für die Wahrung ihrer Interessen zu bieten, wenn ihn De Mita dirigiert. Da kommt es ihnen gerade zupaß, daß die DC bei den letzten Wahlen nur knappe anderthalb Prozent zugelegt hat, was De Mitas Position bei weitem nicht unanfechtbar gemacht hat - im Gegenteil: Aus allen Löchern kriechen nun innerparteiliche Naserümpfer, denen Leute südlich von Rom sowieso suspekt sind, und holen alte Vorurteile gegen diese „meridionalen Typen“, wie deren angebliche Neigung zur Vetternwirtschaft und zur Blindheit gegen wirtschaftliche Neuerungen, hervor. Die Christdemokraten der Region Veneto mit den industriellen Brennpunkten Mestre–Venedig und Padua, die diesmal keinen einzigen Vertreter im Kabinett sitzen haben, drohen offen mit der Gründung einer eigenen Christenpartei nach dem Muster der CSU. Voll zum Angriff bläst auch der Römer Giulio Andreotti, De Mitas stärkster und duchtriebenster innerparteilicher Widersacher (dessen Regierungsbildungs–Bemühen De Mita im März durchkreuzt hat): Sein Vertrauter Roberto Formigoni, Chef der papstnahen Sturmtruppe „Movimento popolare“, erklärte kurz und bündig: „Wir haben die Nase voll von diesen Leuten aus Benevent und Avellino.“ Nicht abwegig, daß das große Kapital im Norden Angst vor einer Dominanz des Südens hat - man fürchtet Vergeltung für die unvorstellbare Vernachlässigung des „Mezzogiorno“ in den letzten vier Jahrzehnten. Unverfroren hatte der Norden gerade in der „Blütezeit“ christdemokratischer Regierungen in den 50er und 60er Jahren dem Süden dessen Reichtum geklaut oder zerstört, durch sinnlose Straßenbaupolitik und Zerstörung des Wasservorrates, durch den Ruin mehrerer Millionen Bauern wegen verfehlter EG–Agrarpolitik und durch die Installation bald wieder verrottender Industrieanlagen. Daß der Süden „wieder Vertrauen in die DC gefaßt und somit seit Jahren erstmals wieder Pluspunkte bei Wahlen gebracht hat“, sieht Vize Scotti als „wichtigstes Verdienst De Mitas an“. Infolgedessen sei der Nord–Süd–Streit denn auch „herzlich überflüssig“. Doch ihre Angreifbarkeit haben sich De Mitas Leute selbst zuzuschreiben - mit geradezu panischer Angst, sie könnten auch nur eine Stelle nicht mit einem der ihren besetzen, hievten sie Süd– Lichter im ganzen Land auf Posten und Pöstchen, zerschlugen damit zwar traditionelle Bonzen–Bastionen, aber nur, um sie durch eigene zu ersetzen; ein Spiel, das die Industriekapitäne Mailands und Turins nur so lange mitmachten, wie die „Neuen“ auch einigermaßen qualifiziert waren oder sich, als exotisches Zugeständnis an südliche Lebensweise, in Unteritalien tummelten. Doch seit De Mita immer häufiger wichtige Bankvorstän sein.“
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