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Volkswagen in Lateinamerika

■ Von der Gründung des VW–Werks in Mexiko, wo seit dem 1. Juli gestreikt wird, bis zu den Problemen der weltweiten Verbundproduktion / Standorte werden in der Automobilproduktion kaum durch die Lohnkosten verschiedener Länder bestimmt / In Mexiko liegt VW mittlerweile hinter der japanischen Konkurrenz von Nissan

Von W.Oesterheld/M.Wortmann

Der Volkswagen–Konzern ist einer der größten und gleichzeitig einer der am stärksten internationalisierten Automobilhersteller der Welt. In den Jahresabschluß 1986 werden neben der Volkswagen AG weitere 19 inländische und 55 ausländische Gesellschaften einbezogen. Bei elf Gesellschaften im Ausland (davon drei mit einer Minderheitsbeteiligung der VW AG) werden in Montage– und Produktionsbetrieben rund 40 % (ca. 1,2 Mio. Fahrzeuge) der insgesamt 2,8 Mio. Fahrzeuge produziert. Die Internationalisierung erreicht mit der Übernahme des spanischen Automobilherstellers SEAT (1986) und der Gründung von AUTOLATINA 1987 (in Kooperation mit Ford in Brasilien) einen vorläufigen Höhepunkt. Die Anfänge des Auslandsengagements von VW liegen in den fünfziger Jahren, als der Konzern bereits in über 80 Länder exportierte. Mit der Gründung von VW do Brasil, 1953, wird das erste Auslandswerk errichtet. Es folgte der Aufbau von Montage– und Produktionsstätten in Australien (1954), Südafrika (1956) und Mexiko (1961). Die Auslandsaktivitäten sollten vor allem restriktive Einfuhrbestimmungen in diesen Ländern überwinden, indem die Importe durch Fertigung im eigenen Land ersetzen werden sollten. Diese „Importsubstitutionspolitik“ führte vor allem in Brasilien und Mexiko zu einer Ausweitung der lokalen Fertigungsanteile (Aufbau von Gießereien und Motorenproduktion). In Mexiko sah ein Dekret von 1962 vor, das alle Importe von Autos und zerlegten Autoteilen, die nur noch montiert werden müssen,durch einheimische Produktion völlig zu ersetzen seien. Auch Zulieferteile wie Motoren, Reifen und Batterien mußten aus mexikanischer Fertigung kommen. Insgesammt sollte der Anteil aus inländischer Produktion bei den komplett in Mexiko gefertigten Fahrzeugen auf rund 60 Prozent gesteigert werden. Diese Maßnahmen sollten zum Aufbau einer eigenen Industrie führen. Neben staatlicher Förderung zur Ansiedlung von Industrien wurden damals im Fahrzeugbau insgesamt nur zehn Hersteller zugelassen, die sich jeweils bestimmte Produkte für den mexikanischen Markt spezialisierten. Das sicherte Volkswagen den attraktiven Markt für Kleinwagen. Bis zum Beginn der siebziger Jahre kamen dennoch gut 85 Prozent der weltweit von Volkswagen produzierten Fahrzeuge aus der Bundesrepublik. Zwischen 60 und 70 Prozent der Fahrzeuge wurden exportiert. Zentrale Exportmärkte waren Europa und die USA. Allein 1970 wurden rund 570.000 Autos (rund die Hälfte der gesamten Exporte) in die USA geliefert. Verlagerung nach Lateinamerika Nach der ersten Ölpreissteigerung und dem Dollarverfall 1973/74 geriet der exportorientierte Volkswagen–Konzern in seine erste schwere Krise nach dem 2. Weltkrieg, die durch enorme Umsatz– und Gewinneinbrüche auf den Märkten in Europa und den USA gekennzeichnet war. In diese Zeit fällt auch der späte Modellwechsel vom Käfer zum Golf. Innerhalb kurzer Zeit wurde die Produktion vor allem in Brasilien und Mexiko (85 Prozent der Auslandsfertigung war auf diese Länder konzentriert) hochgefahren. Dies geschah in der Absicht, durch eine Ausweitung des Absatzes auf den entscheidenden bzw. expandierenden Märkten der sogenannten Schwellenländer einen Ausgleich für die Umsatz– und Gewinnrückgänge zu erreichen. In den siebziger Jahren kam es zu einer raschen Ausweitung der Produktion von kompletten Fahrzeugen in Brasilien und Mexiko. Allein in der ersten Hälfte der siebziger Jahre wurde die Produktion in Brasilien mehr als verdoppelt (auf 503.000 1975) und in Mexiko sogar verdreifacht (auf 110.000). Hinzu kamen neue Montage– und Produktionsstätten in Nigeria (1975), den USA (1978) und in Argentinien (1980). In Brasilien und Mexiko wurden gleichzeitig in wachsendem Maße Auto–Komponenten und Ersatzteile für den Export an andere VW–Gesellschaften produziert. Hieraus entwickelte sich eine weltweite Verbundfertigung. Lohnkosten zweitrangig Die Fahrzeuge für den Binnenmarkt werden auf einem vergleichsweise niedrigen technologischen Stand produziert. Für den Export werden dagegen auf hohem technologischen Niveau Komponenten und Ersatzteile (Motoren, Achsen etc.) für die VW–Gesellschaften in den USA, Brasilien und der Bundesrepublik produziert. Bis 1986 wurde auch noch der Käfer für den europäischen Markt gefertigt. Die Wirtschaftspolitik in Mexiko versucht, mit Steuer– und Zollvergünstigungen Anreize für eine Exportproduktion zu schaffen, die international wettbewerbsfähig ist. Der Aufbau einer Exportproduktion wird (nicht nur für VW) interessant, weil hiermit die gleichzeitige Förderung auf einem relativ geschützten und großen Binnenmarkt verbunden ist. Lohnkosten spielen im Kalkül der Fahrzeugbauer nur eine untergeordnete Rolle, denn die Vorteile niedriger Löhne werden in den Entwicklungsländern durch andere Faktoren mehr als ausgeglichen: Die hohen Kosten nationaler Zulieferer, die weit geringere Produktivität und eine mangelnde industrielle Infrastruktur. Mitte 1987, als die Auseinandersetzungen bei VW de Mexico beginnen, kommen mehrere Momente zum tragen, die das mexika nische Management unter „Sachzwänge“ bringen. Zum einen ist die Nachfrage nach Kleinwagen (nicht nach Wagen der Luxusklasse) auf dem mexikanischen Binnenmarkt in den letzten zwei Jahren drastisch zurückgegangen. Zum anderen nimmt auch hier die japanische Konkurrenz zu, die ihre Fahrzeuge auch in Mexiko mit moderner Technologie produziert. Nissan hat in den ersten fünf Monaten 1987 erstmals mehr Autos verkauft als VW. Der Export des Käfers auf den europäischen Markt wurde 1986 eingestellt. Probleme mit der Verbundfertigung Die Verbundfertigung sowohl mit der US–amerikanischen als auch mit der brasilianischen Schwestergesellschaft ist mittlerweile jedoch stark beeinträchtigt: Die US–amerikanische Gesellschaft hat mit dem dort produzierten Golf–Modell erhebliche Absatzschwierigkeiten, und der Druck der japanischen Konkurrenten nimmt ständig zu. Die Gesellschaft in Brasilien, wurde in der ersten Hälfte 1987 von einem allgemeinen Rückgang des Binnenmarktes getroffen, der auch nicht durch Exporte kompensiert werden konnte. Es gelang VW auch nicht, mit dem dort entwickelten Modell „FOX“ ein Einstiegsmodell für den US–amerikanischen Kleinwagenmarkt zu produzieren. Die Entwicklung des Volkswagen–Konzerns ist in den letzten Jahren durch umfangreiche Umstrukturierungen gekennzeichnet (darunter zunehmender Einsatz von Robotern und neue Logistik– Konzepte), zu denen auch die Weiterentwicklung der weltweiten Verbundfertigung gehört. Mit der Übernahme des spanischen Konzerns SEAT deutet alles darauf hin, daß es eine sogenannte europäische Variante in der internationalen Verbundfertigung geben wird. Auch neuere Logistik–Konzepte für eine internationale Verbundfertigung von VW haben zur Zeit noch einen zentralen europäischen Schwerpunkt. Aber auch für die gesamte amerikanische Region sind erhebliche Restrukturierungen des dortigen Fertigungsverbundes zu erwarten. Ein erster Schritt wurde in Südamerika mit der Gründung der AUTOLATINA getan. Ein nächster Schritt wird sicherlich in Mexiko gemacht werden. Der heute noch erhebliche Anteil an sogenannter traditioneller Fertigungsstruktur ist weder der japanischen Konkurrenz gewachsen, noch läßt er sich bruchlos in eine amerikanische Variante des VW–Fertigungsverbundes einpassen.

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