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I N T E R V I E W Begünstigung

■ „In einem normalen Verfahren würde mein Mandant freigesprochen“, meint Leonore Gottschalk–Solger, Anwältin des Angeklagten Josef Nusser

taz: Werden Sie versuchen, die Aussagen des Kronzeugen Werner Pinzner vor Polizei und Staatsanwaltschaft in Zweifel zu ziehen? Gottschalk–Solger: Das werde ich sicherlich. Zum einen, weil Polizei und Staatsanwaltschaft nicht korrekt gearbeitet haben, denn Pinzner sind Versprechungen gemacht worden, die unter Paragraph 136a StPO fallen. Der Paragraph sagt, daß Aussagen nicht verwertet werden dürfen, wenn dem Zeugen ungesetzliche Versprechungen gemacht worden sind. Außerdem war Pinzner stark drogenabhängig und stand auch zur Zeit seiner Aussagen stets unter Drogen. Was meinen Sie mit Versprechungen? Die Nächte, die Pinzner mit seiner Frau in Räumen der Polizei verbringen durfte? Zum Beispiel. Auch aus den Briefen von Frau Pinzner an ihren Mann ergibt sich, daß beiden Versprechungen gemacht worden sind. Und obwohl Frau Pinzner eine wichtige Zeugin in diesem Verfahren gewesen wäre, haben Staatsanwaltschaft und Polizei es geduldet, daß beide zusammen Vernehmungen absprechen konnten. Dadurch ist die Wahrheitsfindung außerordentlich erschwert worden. Ganz merkwürdig ist zudem, daß Pinzner und seine Anwältin Frau Oechsle–Misfeld bei der Vernehmung seiner Ehefrau dabei sein durfte. Die Anwälte der Angeklagten durften das nie. Nusser ud Hockauf sind aufgrund der Aussage des Zuhälters Gerd Gabriel, des zweiten Kronzeugen in diesem Verfahren, verhaftet worden. Wiewohl Gabriel ebenfalls in die zur Anklage stehenden Vorfälle verwickelt ist, ist das Verfahren gegen ihn abgetrennt worden. Sie haben das kürzlich heftig kritisiert und der Staatanwaltschaft Strafvereitelung vorgeworfen, weil mehrere Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt worden sind. Jeder Jurist, der sich die Strafakten zu Gabriel näher ansieht, muß zu dem Ergebnis kommen, daß hier Strafvereitelung vorliegt. Zum Beispiel hat eine Prostituierte Gerd Gabriel angezeigt, eine versuchte räuberische Erpressung begangen zu haben. Er hatte von ihr eine „Abstecke“ in Höhe von mehreren zehntausend Mark verlangt, sie bedroht und zuvor schon mehrfach körperlich mißhandelt. Die Staatsanwaltschaft argumentiert bei diesem mutmaßlichen Verbrechen, hier stünde Aussage gegen Aussage, und deswegen könne sie das nicht anklagen. Dann aber dürften auch Vergewaltigungen grundsätzlich nicht mehr angeklagt werden. Gabriel soll auch Frauen durch den Raum geschleudert und sie mit Füßen getreten haben - auch das ist trotz seiner Vorbestrafung wegen Körperverletzungsdelikten eingestellt worden. Ganz offensichtlich hat man hier Gabriel zu schonen versucht, damit er als Kronzeuge zur Verfügung steht. Haben Sie nicht persönlich Bauchschmerzen mit einem Mandanten wie Nusser? In einem normalen Strafverfahren, das nicht von der Presse so aufgebauscht worden wäre und wo Polizei und Staatsanwaltschaft nicht so unter Erfolgsdruck stünden, würde mein Mandant sicher freigesprochen werden. Denn die vorliegenden Beweise dürften wegen Vergünstigungen nicht verwertet werden. Das ist zum einen die Aussage von Pinzner und zum anderen die von Gabriel, der sich nach eigenen Angaben an einem Mordversuch beteiligt hat: Er hat versucht, Pinzner in eine Wohnung zu locken, wo er umgebracht werden sollte - auch diesen Fall hat die Staatsanwaltschaft nicht angeklagt. Zum dritten haben wir den unglaubwürdigen Zeugen Günther Bonnet, den wohl selbst das Gericht nicht mehr laden möchte, weil er Unsinn geredet hat. Sehr viel mehr gibt es nicht. Ansonsten kannte ich meinen Mandanten nicht, bevor ich die Verteidigung übernahm, insofern kann ich zu seiner Persönlichkeit weder Positives noch Negatives sagen. Die Angeklagten

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