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Leichen pflasterten ihren Weg

■ Drei Komplizen des „St. Pauli–Killers“ Werner Pinzner wird der Prozeß gemacht/Aus Hamburg Ute Scheub

Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen wird am kommenden Donnerstag im Sicherheitstrakt des Hamburger Strafjustizgebäudes die Hauptverhandlung gegen die St. Paulianer Josef Peter Nusser, Armin Hockauf und Siegfried Träger vor einem Schwurgericht eröffnet. Sie müssen sich unter anderem wegen Mittäterschaft oder Anstiftung zum Mord an insgesamt fünf Bordellbesitzern verantworten, in die auch der tote „St. Pauli–Killer“ Werner Pinzner verwickelt ist. Die Anklage ist seit Monaten fertig, doch die Hintrgründe der Mordserie liegen nach wie vor im Zwielicht.

Gläubige Katholiken könnten auf den Gedanken kommen, hier habe der Teufel persönlich seine Hand im Spiel gehabt: Ausgerechnet am Karfreitag und ausgerechnet in der Lokalität „Luzifer“ sollen zehn dunkle Gestalten die Köpfe zusammengesteckt und die Ermordung zweier Menschen beschlossen haben. Gegen das Märtyrer–Szenario spricht allerdings, daß es sich auch um Gründonnerstag und die am Hans–Albers–Platz in der Nähe des „Luzifer“ gelegene „Chikago“–Bar des St. Pauli–Bosses „Ringo“ Klemm gehandelt haben könnte. Und daß die beiden Todeskandidaten keinesfalls unschuldige Lämmchen waren, sondern mit ihren Freunden zusammen ebenfalls eine Todesliste zusammengestellt haben sollen. In den Tagen vor Ostern 1985 eskalierte ein schon lange schwelender Krieg um Einflußsphären auf dem Hamburger Sex– und Kokainmarkt zwischen zwei rivalisierenden Zuhälterbanden, und beide beschlossen anscheinend, die Führungsköpfe der Gegenseite rollen zu lassen. Die Gruppe auf der rechten Reeperbahnseite um den dunkelhäutigen und bodybuilding–gestählten Bordellier Waldemar „Waldi“ Dammer wünschte die Zuhälter „Ringo“ Klemm, Josef Peter Nusser und Helmut Dilger zur Hölle. Und rund um den Hans–Albers–Platz auf der linken Seite der „sündigen Meile“ hätten die Leute um den inzwischen in Costa Rica verhafte ten „Ringo“ Klemm und den nun angeklagten Josef Nusser nichts lieber getan, als einem Begräbnis von „Waldi“ Dammer und seinem Freund Stefan Hentschel beizuwohnen. Zu diesem Kreis gehörten auch die beiden anderen angeklagten Siegfried Träger und Armin Hockauf sowie „St. Pauli– Killer“ Werner Pinzner. Am Ostermontag, den 8. April 1985 passierte es dann: Von der Wucht dreier Schüsse getroffen, drehte sich der tote Waldemar Dammer im Arbeitssessel seines Hauses noch zweimal um die eigene Achse. Und statt Stefan Hentschel, den die Mörder im Haus eigentlich erwartet hatten, wurde Dammers zufällig anwesender Wirtschafter Ralf Kühne gleich miterschossen. Nach dem Doppelmord soll die linke Kiezseite „Entwarnung“ gefeiert haben. Laut Staatsanwaltschaft waren Werner Pinzner und Siegfried Träger die Täter und Josef Peter Nusser der Anstifter. Allerdings: Wenn neben der „Luzifer“–Story auch die Geschichte stimmt, daß Pinzner von „Ringo“ Klemms Mann „Joe“ Marx - gegen ihn wird in wenigen Tagen ein gesonderter Prozeß eröffnet - noch am Tatabend 20.000 Mark Killerlohn bekam und später weitere 10.000 aus einer „Kiezsammlung“, dann kann diese Racheaktion nicht allein Nusser und den Mördern angehängt werden. Der Mord an Dammer und Kühne ist der letzte einer ganzen Serie, die „Mucki“ Pinzner, der Schlachter aus Hamburg–Bramfeld, nach seiner Verhaftung im April 1986 gestand. Danach, bei einer Vernehmung am 29. Juli, nahm er Staatsanwalt Bistry und seine Ehefrau Jutta mit in den Tod. Doch genausowenig wie die Zusammenhänge dieser letzten Blutaktion geklärt sind - bezahlte „Ringo“ Klemm Pinzners Anwältin Isolde Oechsle–Misfeld für den Waffenschmuggel in den Knast? -, genausowenig sind die Hintergründe jener Morde vollständig erhellt. Die Anklage macht fast glauben, daß sie nur die Privatsache des geld– und machtgierigen Josef Nusser waren, der seine bezahlten Killer losschickte, um an die Bordellanteile seiner Geschäftspartner heranzukommen. Sicher, ein solcher Ruf eilte ihm auch im Kiez voraus, seit sein Partner „Chinesen–Fritz“ Schröer 1981 von einem Barhocker weg erschossen wurde, und ein anderer Mann Nussers 1983 in Salzburg an einer Überdosis Kokain starb, wiewohl er solches nie zu nehmen pflegte. Aber nicht nur die Geschichte im „Luzifer“ spricht dafür, daß Nusser auch nur eine Figur in einem großen Kokain–Kartell war, das säumige Schuldner auf seine Art zu erledigen pflegte. Jedenfalls: Abgesehen von dem auch auf der Anklage vermerkten Raubüberfall auf zwei ADAC– Geldboten am 18. Juni 1984 in der Hamburger City, den Hockauf und Pinzner unter Anstiftung Nussers und der Mittäterschaft Trägers durchgeführt haben sollen, spielt Kokain in allen angeklagten Morden eine Rolle. So war der am 7. Juli 1984 in seiner Kieler Wohnung erschossene Kaufmann und Bordellbesitzer Jehuda Arzi nicht nur glücksspiel– sondern auch kokainsüchtig. Angeblich hatte er eine Hamburger Kokainlieferung nicht bezahlt. Außerdem soll er Nusser ein Mädchen ohne „Abstecke“ ausgespannt haben. Stark kokainsüchtig und deswegen hochverschuldet und lästig geworden waren auch Peter Pfeilmaier, Partner des Bordelliers Gerd Gabriel, und Dietmar Traub, Partner von Nusser. Am 13. September 1984 erwischte es Pfeilmaier am Steuer seines Autos in Hamburg–Bramfeld, und am 13. November mußte Traub in einer Münchner Nebenstraße dran glauben. Für den ersten Mord machen die Ankläger Pinzner und Hockauf verantwortlich, für den zweiten Pinzner und Träger. In beiden Fällen konnte Nusser erneut Bordellanteile übernehmen. Und Waldemar Dammer, der letzte Tote in dieser Reihe? Er wollte mit aller Gewalt in den Geschäftsbereich von Klemm & Co. auf der linken Reeperbahnseite eindringen. „Ringo“ Klemm, über dessen Auslieferung die costaricanischen Gerichte noch nicht endgültig entschieden haben, wird schon seit längerem der Koks–Dealerei verdächtigt. Er soll Geschäftsverbindungen zum kolumbianischen Koks–König Carlos Lehder gehabt haben, der den „weißen Schnee“ in Containern, Autos oder anderen Exportstücken in europäische Hafenstädte schmuggeln ließ. „Ringos“ Leute sollen die Drogenfracht dann aus Amsterdam oder an der deutschen Grenze abgeholt und zum Beispiel in den inzwischen geschlossenen „MB–Club“ in Altona gebracht haben. „Ist Günther da?“ fragten die Kunden am Tresen, wenn sie nach Koks gierten. Den Club übernommen hatten Anfang 1984 Peter Pfeilmaier und Gerd Gabriel, den Koks–Kurier soll angeblich Pinzner–Freund Bernd Wünsch gespielt haben. Von den dreien lebt heute nur noch der nach seiner Verhaftung zum Kronzeugen gewandelte Zuhälter Gabriel. Wünsch, der ebenfalls vor der Polizei ausgesagt hatte, wurde am 14. Juni dieses Jahres tot in einer Kleingartensiedlung aufgefunden. Angeblich Selbstmord.

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