Stammheim - und kein Ende

■ Gestern begann in Stuttgart–Stammheim erneut ein Prozeß gegen mutmaßliche Mitglieder der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) / Verteidiger–Protest gegen Durchsuchungen und die Haftbedingungen der Angeklagten

Aus Stuttgart Dietrich Willier

Was fast auf den Tag vor zehn Jahren zur zynischen Staatsräson erhoben wurde, die handstreichartige Aufhebung geltenden Rechts in der Stammheimer Justizfestung, ist der seither erbärmliche Alltag geblieben. „10 Jahre danach“, auf der Anklagebank sitzen seit gestern morgen Eva Sybille Haule–Frimpong, Christian Kluth und Luitgard Hornstein. Alle drei sollen die RAF mitgliedschaftlich unterstützt haben, werden der Hehlerei und der Urkundenfäl schung verdächtigt. Eva Haule soll darüber hinaus Anschlagsobjekte in Stuttgart, NATO–Einrichtungen in Hessen und US–Kasernen in Oberammergau und Bad Tölz ausgekundschaftet haben. Zur Verlesung der Anklage durch die Bundesanwaltschaft kam es gestern nicht. Alle drei Angeklagten waren Anfang August vergangenen Jahres in einer Rüsselsheimer Eisdiele festgenommen worden. Wie unverrückbar staatliche Errungenschaften des „Deutschen Herbstes“ geblieben sind, wurde den ca. 260 Prozeßbesuchern schon zu Beginn der Hauptverhandlung eindrucksvoll demonstriert. Selbst Gürtel wurden nebst allen anderen beweglichen Gegenständen an der Einlaßschleuse konsfisziert, Hosen und Hemden mußten geöffnet werden. Als mit anderthalbstündiger Verspätung die Hauptverhandlung endlich begann, sahen sich die Richter des Fünften Strafsenats am Oberlandesgericht Stuttgart denn auch mit zahlreichen Anträgen der Verteidiger konfrontiert. Die Durchsuchung der Verteidigung, so fordern die An wälte, sei aufzuheben, sie sei entwürdigend und diskriminierend. Eine Möglichkeit, den Angeklagten heimlich etwas zuzustecken, gäbe es ohnehin nicht, Verteidigergespräche fänden nur in Räumen mit Trennscheibe statt, die Angeklagten hätten sich vorher und nachher umzukleiden und würden mehrfach durchsucht. Der zweite Antrag lautete: Öffentlichkeit und ungehinderter Zugang seien herzustellen, die Speicherung der Daten von Prozeßbesuchern sei einzustellen. Daß diese Daten, entgegen allen Beteuerungen, von der Polizei gespeichert werden, sei, so die Verteidiger, der Anklageschrift gegen Eva Sybille Haule–Frimpong zu entnehmen. Dort ist vermerkt, daß sie als Prozeßbesucherin in der Verhandlung gegen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt im Februar 1984 anwesend war. Beide Anträge wurden vom Vorsitzenden des Fünften Strafsenats abgelehnt. In Zukunft sollen aber Personalausweise nicht mehr kopiert werden. Mit weiteren Anträgen fordern die Verteidiger eine Aussetzung des Verfahrens wegen Einschränkung der Verteidigung und der Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten. Ihre Mandanten, befänden sich seit 13 Monaten in Isolationshaft. Ein den Justizvollzugsbehörden und dem Gericht nicht einsehbarer Austausch von Verteidigungsunterlagen sei unmöglich, Verteidigerpost erreiche die Gefangenen entweder gar nicht oder werde werde zensiert. Dem Strafsenat, der Bundesanwaltschaft und den Leitungen der Vollzugsanstalten warf Rechtsanwalt Fränkel ein konzentriertes Isolationsprogramm zur Vernichtung der politischen Identität der Gefangenen vor. Als Bundesanwalt Peter Zeis die Einleitung eines Antrages durch den Angeklagten Christian Kluth unterbrach, entstand kurzfristig Tumult unter den Prozeßbeobachtern. Nach kurzer Unterbrechung wurde der Prozeß auf kommenden Donnerstag vertagt. Dann, so hofft der Senat, soll auch die Anklageschrift verlesen werden. Mit dem Sprechchor „RAF - Widerstand und kämpfende Bewegung, Einheit im Kampf um Zusammenlegung“ verabschiedeten sich die Prozeßbesucher.