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Libanons Lira–Münze wird versteigert

■ Die Wirtschaftskrise treibt seltsame Blüten: 75 Lira Papiergeld werden für die begehrte Eine–Lira–Münze hingeblättert, weil deren Materialwert den Nennwert übersteigt / In Beirut drängen sich die Münzspekulanten

Aus Beirut Petra Groll

„Es ist ganz einfach unglaublich, es scheint, als hätten die Leute ihr letztes Restchen Gehirn über Nacht verloren!“ Ein Bankangestellter im Zentrum der libanesischen Hauptstadt Beirut schüttelt ungläubig den Kopf. „Da hat sich doch jemand eine riesengroße Schweinerei einfallen lassen, das ist doch nicht mehr normal...“ Er schimpft weiter und findet kaum noch Worte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, im Schatten des Tourismus–Ministeriums, hat sich eine hektisch durcheinanderquirlende Menschenmenge versammelt, immer wieder tönt es: „Eine libanesische Lira, jetzt für 75 Lira, 75 Lira...“ Kinder klimpern mit Ein–Lira–Münzen, ein paar Männer haben schon ganze Plastiktüten voll eingekauft. Des Rätsels Lösung: Endlich hat ein findiger Geist entdeckt, daß der Metallwert der Münze den Nennwert bei weitem übersteigt. „Schon, schon“, bestätigt der Bankangestellte meine These, „aber das Material ist bei weitem keine 75 Lira wert.“ Damit hat er Recht. Die Lira–Münze enthält zwar circa 3,5 Gramm Chrom, das in den letzten Wochen wegen der Krise in Südafrika teurer geworden ist, dennoch entspricht der Materialwert der Münze nicht mehr als 15 libanesischen Lira in Scheinen. „Hast du Lira–Münzen?“, hatte mein Nachbar am Dienstag morgen gefragt, „dann nimm sie und komm sofort mit.“ Auf dem Weg in die Geschäftsstraße Hamra, von wo heute ein ganz besonders panisches Autohupen zu hören ist, erzählt er: „Heute morgen hat mich mein Sohn Mohammed bei der Arbeit angerufen und gefragt, ob er von den Ein–Lira–Münzen nehmen könnte, die wir in einem Schuhkarton gesammelt haben. Für jede Münze würde er mir am Abend fünf Lira Papiergeld zurückgeben. Da wußte ich noch nicht, was los war, und hab Mohammed gesagt, er solle doch bitte gleich im Büro vorbeikommen. Von diesem seltsamen Geschäft wollte ich mehr wissen, denn schließlich ist die Lira doch überhaupt nichts mehr wert.“ Er nimmt meine Handvoll Münzen und drängelt sich in die Menschentraube, die sich um einen Mercedes versammelt hat. Zwei Männer sitzen in dem Wagen. Sie kaufen Lira–Münzen auf und zahlen fün75 Lira Papiergeld pro Münze. Diese Neuigkeit hat in Windeseile die Runde gemacht, wer die im Geldbeutel unnütz schweren Münzen gesammelt hat, der macht sich auf den Weg nach Hamra. Die Fußgänger–Wege sind völlig verstopft, man muß sich im wahrsten Sinne des Wortes durchkämpfen. Überall haben Autofahrer wild geparkt, der Verkehr kommt nicht mehr von der Stelle. „Kannst du mir fünf Liras in Münzen wechseln?“, lautet überall die treuherzige Frage. Eine Bettlerin hält mit großen fragenden Augen ihre alte Pappschachtel hin, doch heute finden sich darin nur Scheine. Ein paar Stunden später ist die Nachricht im von der Welt fast abgeschlossenen Palästinenserlager Chatila angekommen. Besorgt ruft einer der politischen Verantwortlichen im Pressebüro an: „Stimmt es, daß die Lira–Münzen in Hamra für 150 libanesische Lira gekauft werden?“ Auch aus der 50 Kilometer südlich von Beirut gelegenen Stadt Saida kommt der Anruf eines Lokalkorrespondenten: In der Hafenstadt hat das Geschäft mit den Ein–Lira–Münzen zu einer Schießerei zwischen zwei rivalisierenden Milizen geführt.

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