I N T E R V I E W „Wir brauchen keine Jugendorganisation“

■ Interview mit Irmela Wiemann vom Bundesvorstand der Grünen, die an der BuVo–Broschüre zur Jugendpolitik beteiligt war

taz: Die Broschüre des grünen BuVo zur Jugendpolitik scheint mir rund zwanzig Jahre zu spät aufgelegt. Die Jugend der Gegenwart - mit ihren gegenwärtigen Problemen - kann ich in der Broschüre nicht entdecken. Irmela Wiemann: Tja, ich denke, daß das so nicht stimmt. Es wird wohl an die eigene Jugend erinnert, denn ich glaube, daß sich die Situation für Jugendliche - in den grundlegenden Dingen - in den letzten zwanzig Jahren nicht wesentlich verändert hat. Die Broschüre bezieht sich stark auf die rechtliche Situation. Jugendliche können z.B. mit 14 Jahren schon bestraft werden, wenn sie gesellschaftliche Regeln verletzen, aber das aktive Wahlrecht bekommen sie erst mit 18 Jahren. Wählen die Grünen demnächst Kleinkinder in den Bundesvorstand? Es geht nicht um Kleinkinder, sondern um Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren. Aber in der Broschüre steht doch, daß niemand zu jung sei, um bei den Grünen im Vorstand zu sitzen oder in den Parlamenten. Das bezieht sich darauf, daß einige glauben, daß wir eine grüne Jugendorganisation benötigten. Das ist unsere Antwort darauf. Für uns sind Leute, die bei den Grünen mitmachen wollen, nie zu jung. Wir brauchen deshalb keine extra Jugendorganisation. Eine eurer Kernthesen ist die, daß es der Jugend heute an Freiräumen fehle. Ist nicht vielmehr die Orientierungslosigkeit der Jugend 87 das aktuelle Problem? Orientierungslosigkeit sicherlich, weil die Jugend politisch - in bezug auf die Zukunft - noch weniger erwarten kann, als in den 60er Jahren. Die Jugendarbeitslosigkeit, die Zerstörung der gesamten Umwelt, das alles macht, daß die Jugendlichen keine Perspektiven mehr haben. Habt ihr denn nicht gemerkt, daß die sogenannte „No Future“–Generation sich längst verabschiedet hat. Das Gros der heutigen Jugendlichen ist doch eher auf dem Genuß– Trip. Die gehen zum Madonna–Konzert und in die Disco und fühlen sich eigentlich recht wohl in diesem Staat. Habt ihr diese Jugendlichen schon abgeschrieben? Ich sage noch einmal, daß sich diese Broschüre auf die rechtliche Situation der Jugendlichen bezieht. Die Erwachsenen haben doch vom Staat Rechte eingeräumt bekommen, die in das Leben der jungen Menschen eingreifen. In dem 30–Zeilen Kapitel „Liebe und Sexualität“ kommt die AIDS–Problematik nicht vor. Habt ihr das bewußt ausgespart? Ich bedaure das auch, daß zu AIDS nichts in der Broschüre steht. Wir konnten wirklich nicht alle Themen berücksichtigen. Aber ich denke, daß es ein Fehler war, auf AIDS überhaupt nicht einzugehen. Aber wir Grünen arbeiten ja parallel an der AIDS–Thematik. Die Grünen in Hessen haben die sofortige Einstampfung der Broschüre gefordert. Werdet ihr über diese Forderung nachdenken? Natürlich nicht. So destruktiv wie die Hessen vorgehen, stecken da ganz andere Sachen dahinter. Was soll dahinter stecken, wenn nicht der Ärger über diese Broschüre? Das sind die Strömungskisten. Die Hessen wollen die BuVo anpinkeln, das ist alles, was dahintersteckt. Interview: Klaus–Peter Klingelschmitt