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Grüner Streit um Jugendbroschüre

■ Papier zur Jugendpolitik des Bundesvorstands der Grünen wird von den hessischen Parteikolleginnen in der Luft zerissen: „Äußerst fragwürdige Pubertätsbewältigung“

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Was dabei herauskommt, wenn MitgliederInnen und ZuarbeiterInnen des Bundesvorstands der Grünen, die alle in den 40er oder 50er Jahren geboren sind, versuchen, die Jugendlichen der späten 80er Jahre für ein Engagement in der Partei zu gewinnen, kann derzeit in einer Broschüre bestaunt werden, die von den fundamentalistisch orientierten ParteipolitikerInnen jetzt vorgelegt wurde. Bewaffnet mit einem Weltbild, das sich - geboren aus der Anti– Haltung gegenüber den eigenen Nazi–Vätern - streng an die Unterdrückungs– und Widerstandschemata der 60er Jahre anlehnt(“They got the guns - we got the numbers“/J.Morrison), legen die „mittelalterlichen“ Damen und Herren aus dem Bundesvorstand(BuVo) die eigene, brüchig gewordene Meßlatte an die aktuellen Probleme der Jugend. Da tummeln sich schon auf dem Titel rucksackbewehrte junge UmweltkämpferInnen - Auge in Auge mit der schwerbewaffneten Polizei - an der Startbahn West oder in Wackersdorf. Und dieses „Idealbild“ des BuVo von Jugend schlechthin findet sich fast auf jeder Seite des dünnen Heftchens. Noch immer werden die „kids“ von einer allgegenwärtigen Erwachsenenwelt unterdrückt, die ihnen - im kleinen wie im großen - mit familiärer oder staatlicher Allgewalt begegnet. Den Madonna–kids der Video–Generation werden die Binsenweisheiten vom bösen Staat und seinen Helfershelfern aber wohl kaum den rötenden Hauch des Entsetzens auf die blassen Gesichter zaubern. Und die banale Erkenntnis, „daß Sexualität schön sein kann“ (garniert mit einer Freak–Zeichnung aus den frühen 70er Jahren), dürfte den Jungen und Mädchen des AIDS– Zeitalters bekannt sein, obgleich - so die Broschüre: „Liebe und Sexualität noch immer Tabuthemen in unserer Gesellschaft“ seien. Daß die Broschüre des „BuVo“ ein Ladenhüter erster Ordnung werden wird, mit dem sich die Grünen endgültig aus der aktuellen jugendpolitischen Diskussion verabschieden, befürchten allerdings auch Grüne. Bei der Landtagsgruppe der hessischen Grünen erhob sich zu Wochenanfang ein Sturm der Entrüstung, als die Broschüre auf den Schreibtischen der Damen und Herren Abgeordneten zu liegen kam. Für die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Iris Blaul ist alleine schon die „Quintessenz“ des Vorwortes: „Bei uns ist niemand zu jung, um in einen Vorstand oder in ein Parlament gewählt zu werden“ nichts als „barer Unsinn“. Dieses „peinliche Armutszeugnis“ des BuVo münde schlicht in die Feststellung, daß bei den Grünen offenbar „nie mand zu dumm ist, um ein jugendpolitisches Programm zu formulieren“. In die gleiche Kerbe hieb Landesvorstandsmitglied Wolf Schwarz, der die Broschüre am vergangenen Dienstag als eine „äußerst fragwürdige Pubertätsbewältigung“ der Autoren bezeichnete. Falschen Analysen über den Ist–Zustand der Jugend, so Schwarz, folgten zwangsläufig „verquere Lösungsmuster“, insbesondere im Bereich der Sexualität. Mit der simplen Forderung nach „größeren Freiräumen“ für Jugendliche und nach „absoluter Selbstbestimmung“ seien die Probleme der heutigen Jugendgeneration kaum zu lösen, meinte Schwarz weiter. Für Iris Blaul wird mit solchen „Griffen in die Mottenkiste“ das tatsächlich latente Problem der Orientierungslosigkeit vieler Jugendlicher konterkarriert. Darüberhinaus seien wichtige Themen, wie etwa „Jugend und neue Technologien“, „Jugend und politische/religiöse Sekten“ oder „Jugend auf dem Land“ von den MacherInnen der Broschüre überhaupt nicht berücksichtigt worden. Angesichts dieser „fernab jeder Realitäten“ (Blaul) zusammengestoppelten Broschüre fordern die Grünen im hessischen Landtag den BuVo auf, die Verbreitung des Heftchens umgehend zu stoppen und das Papier einer „umweltschonenden Recycling– Maßnahme“ zuzuführen. Der grüne Landesverband Hessen verwies in diesem Zusammenhang auf einen von den Hessen im März 87 initiierten jugendpolitischen Kongreß, auf dem der Diskussionsprozeß mit den Jugendlichen eingeleitet worden sei. Iris Blaul: „Wir werden diese Kommunikation fortführen und sind guter Hoffnung, ein Jugendprogramm entwickeln zu können, das mit den Betroffenen gemeinsam erarbeitet werden soll. Dieses Jugendprogramm wird dann tatsächlich auf die Problemlage der jungen Generation zugeschnitten sein.“ Dieses spektakuläre Familienfoto muß oben um 3 Zeilen abgeschnitten werden, unten um ca. 2 Zeilen - jedoch so, daß der Eimer plus Füße des Jungen links freigestellt sind.

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