Die Geschäfte des Herrn Nebiolo

■ Die Leichtathletik–WM in Italien ist der bisherige Höhepunkt einer immer lukrativeren Sparte des Sports

Aus Rom Herr Thömmes

Das sportliche Motto „Höher, schneller, weiter“ scheint wie geschaffen für Primo Nebiolo, den Präsidenten des Internationa– len Leichtathletik–Verbandes (IAAF). Der 64jährige Bauunternehmer wurde 1981 in sein Amt gewählt, und seitdem hat sich in diesem Zweig des Sports einiges verändert: Die Zahl der Mitgliederländer wächst ebenso wie die Zahl der Veranstaltungen, natürlich auch der Umsatz. Mit der Weltmeisterschaft in Rom feiert sich Nebiolo auch ein bißchen selber. Vom unmittelbar vor der WM abgehaltenen IAAF–Kongreß wurde der Turiner für vier weitere Jahre als Präsident bestätigt, Macao und die Marshall–Inseln konnten als neue Mitglieder begrüßt werden, stolz wurde bilanziert: Die IAAF vereint mit 181 Ländern sogar 26 mehr als die Vereinten Nationen. Als Anspruch an die Weltmeisterschaft formulierte Nebiolo ganz unbescheiden, „Rom soll al len Menschen als das Sportereignis der achtziger Jahre in Erinnerung bleiben“. Und: „Wir sind an Profit nicht interessiert, wir wollen ein Fest der Jugend und des Sports.“ Für dieses Fest hat der IAAF–Chef gründlich dekorieren lassen. Auf dem „Foro Olimpico“, einer Sportanlage im Nordwesten Roms mit dem Olympiastadion als Zentrum, herrschen in aller Buntheit die Sponsoren. Aber es ist nicht das Augenfällige, was hier auf eine neue Qualität der Vermarktung hinweist. Werbung hat es bei der WM in Helsinki 1983 ebenso gegeben wie im vergangenen Jahr in Stuttgart bei der Europameisterschaft. Die weiße Zeltstadt zwischen Stadion und Pressezentrum, in der sich Firmen an ihren Ständen präsentieren, ist im Vergleich zu Tennisturnieren oder Stationen des Skizirkus fast noch dezent. Der permanent über Stadt und Stadion schwebende Zeppelin eines Filmkonzerns und die beiden Fesselballons (Kassetten), die bei Dunkelheit wie große Leuchtkugeln wirken, sind allenfalls besondere Gags. So ist es auch nicht die Werbung an sich, sondern deren „unglaubliche Konsequenz“, die Günther Lohre hier beeindruckt. Der ehemalige Stabhochspringer muß es wissen, er hat als Mitarbeiter der britischen West–Nally– Gruppe die EM in Stuttgart vermarktet, und tut das mit einer eigenen Agentur mittlerweile mit den Interessen des Deutschen Leichtathletik Verbandes (DLV). Für eine Geschmacklosigkeit hält es der 34jährige, daß die MarathonläuferInnen an den Zelten der Sponsoren vorbeirennen müssen, „während da drin Leute herumhocken und sich feine Häppchen reichen lassen“. Es werde auch, klagt er, auf die verschiedenen kulturellen Hintergründe der Athleten keine Rücksicht genommen: „Die kommen doch nicht alle aus kapitalistischen Ländern.“ So klebten an den ersten Tagen bei der Siegerehrung flinke Hände noch schnell den Schriftzug des größten Sponsors auf die Brust der verdutzten Sportler. „Damit ist man wohl einen Schritt zu weit gegangen“, die Aktion wurde eingestellt. Auch sonst werden hier neue Wege beschritten. Die Bandenwerbung ist bis an die achte Laufbahn herangezogen. Zwar dürfen die LäuferInnen auf Bahn acht jetzt keinen falschen Schritt mehr tun, dafür läuft beim Kameraschwenk am oberen Bildrand die Werbung mit. Hinter dem 100–Meter–Start hat man die Reiter des größten Geldgebers erhöht, auch das ist unüblich. Den Fernsehzuschauern wird so beim Bild von vorn nicht mehr der Blick durch die Athleten verstellt. Neu ist auch, daß Frauen und Männer verschiedene Sponsoren auf den Startnummern tragen. Für die Vermarktung der WM ist die ISL verantwortlich, eine adidas–Tochter mit Sitz in der Schweiz, die auch die Rechte an den olympischen Ringen hat. Mit elf Hauptsponsoren wurden Verträge abgeschlossen, die rund 17 Millionen Mark einbringen (davon TDK–Ballons, Startnummern, 100–Meter–Start, allein drei Millionen). Neun weitere Firmen tragen durch Sachleistungen geschätzte 21 Millionen bei. Zusätzliche Einnahmen sind durch Tickets (14 Millionen), Kleinsponsoren (4 Millionen) und die Verträge mit dem Fernsehen (17 Millionen) zu verbuchen. Was die Werbefläche angeht, sagt Lohre, hat man mit dem in Rom Erreichten „ausgereizt“. Lediglich bei den TV–Rechten sei „noch mehr drin“, wenn die bestehenden langfristigen Verträge auslaufen. Da den Organisatoren durch die 2.980 anwesenden Sportler und Betreuer nur Kosten von 8,5 Millionen entstehen, und die Stadt Rom mit der Region zusammen die Renovierung der Sportanlagen (36 Millionen) übernommen hat, wird der Profit der IAAF bei dieser WM auf 30 Millionen Mark geschätzt. Eine Flut von Wettkämpfen Ein Plus nicht nur für die Kasse des Verbandes, sondern auch für Herrn Nebiolo. In seiner Ära wurde die Leichtathletik zum gewinnträchtigen Ganzjahresunternehmen ausgebaut: Die WM in Rom ist erst die zweite überhaupt, im März feierte die Hallen–WM in Indianapolis Premiere, 1986 die Junioren–WM, ein Petro–Konzern finanziert seit drei Jahren einen Grand–Prix–Wettbewerb. Das geschäftige Treiben des Präsidenten bleibt nicht ohne Kritik. Auf Kosten der Athleten werde das Wettkampfprogramm immer weiter ausgedehnt, Zeit zur Erholung gäbe es nicht mehr. Derweil poliert Nebiolo weiter an seinem Image (mit Blick auf eine gute Position im Internationalen Olympischen Komitee): kleinen Nationen wird der Ausflug nach Rom finanziert, Randsportarten wie dem Gehen wird die Durchführung eines Weltcup bezuschußt; und eben beschloß der IAAF–Kongreß „die ganz demokratische Reform. Wir gehen zurück in die Antike, wo jedes Land eine Stimme hatte“ (Nebiolo). Bisher gab es drei Gruppen mit unterschiedlichem Stimm– Einfluß. „Entschieden“, spottet ein Insider, „wird ja doch woanders.“ Auch wo das ganze Geld hingeht, weiß niemand so recht zu sagen. Die Athleten jedenfalls sehen hier nicht viel davon. Die sind mit Trainern und Betreuern in zwei riesigen Hotels untergebracht, um dort „stundenlang nach kaltem Essen anzustehen“ (DLV–Pressesprecher Lutz Nebenthal) - wenn es überhaupt etwas gibt. Dafür residieren die IAAF–Bosse mit ihrem Gefolge standesgemäß im Hilton.