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Der „emotionslose“ Bordcomputer lenkt mit

■ Erste Elemente für Computer–kontrollierte Integration des Straßenverkehrs auf IAA vorgestellt / Eureka–Projekt „Prometheus“ bündelt Aufbruch in die Zukunft des Verkehrs

Von Imma Harms

Wer sich im Trubel der Frankfurter Automobilausstellung (IAA) ein Bild machen möchte, ob er/sie eine Chance hat, das Messegelände mit dem Auto zu verlassen, ohne im Verkehr steckenzubleiben, dem hilft ein Besuch am AEG–Stand. Dort zeigt ein Bildschirm die Verkehrslage auf den Ausfahrtsstraßen, und zusätzlich gibt eine Anzeige Auskunft über Fahrzeugdichte und mittlere Fahrgeschwindigkeit. Mit diesem System macht die Adoptivtochter des Stuttgarter Auto–Riesen Daimler–Benz einen bescheidenen Anfang für den großen Umbau des Automobilverkehrs. Das AEG–Verkehrsleits ystem AVES stellt eine Vorstufe für die elektronische Erfassung und Steuerung des Verkehrsflusses dar. Sensoren, die an Autobahnen oder Schnellstraßen montiert werden, erfassen mit Radarstrahlen die Geschwindigkeit und den Abstand der vorbeifahrenden Fahrzeuge, machen sich über ein System von Mikroprozessoren und übergeordneten Rechnern ein Bild von der Verkehrslage und übermitteln ihren Lagebericht in Verkehrsleitzentralen. Diese können auf der Grundlage der Informationen die notwendigen Maßnahmen ergreifen, etwa Verkehrsmeldungen oder Umleitungen initiieren. In einer weiteren Ausbaustufe, so kündigt die Firma in ihrer Pressemitteilung an, sollen die Erkenntnisse der Argusaugen am Straßenrand direkt an die (mit Computerintelligenz ausgestatteten) Fahrzeuge weitergegeben werden. Die Bordcomputer veranlassen dann das Erforderliche, zunächst in Form von Empfehlungen über Fahrgeschwindigkeit und Streckenführung, später dann auch unter Umgehung des möglicherweise uneinsichtigen Fahrzeugführers. Ist dies der Einstieg in die „Realisierung eines konfliktfreien, menschengerechten Verkehrssystems“, jene „höhere Stufe der Kultur des Straßenverkehrs, weg vom Verkehr als Summe vieler einzelner Systeme, hin zu einem integrierten Gesamtsystem“? Dann trifft es sich mit den Intentionen des großen europaweiten Forschungsprogramms „Prometheus“, das mit diesen emphatischen Sätzen beschrieben wird. „Prometheus“ ist ein auf acht Jahre angelegtes Eureka–Forschungsprojekt, dem zum Ziel gesetzt ist, „für die dem Gesamtsystem Verkehr innewohnende Problematik einen Lösungsansatz zu finden“. Insgesamt 14 europäische Automobilfirmen und etwa 40 Forschungsinstitute teilen sich das jährliche Budget von 155 Mio. Mark. Im Namen der Sicherheit, der Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit entwerfen die Konzerne gemeinsam ein normiertes Informationssystem, bestehend aus „intelligenter“ Fahrzeugausstattung, verkehrsleitenden Informations– und Kontrolleinheiten auf den Straßen und Verkehrszen tralen, in denen die Fäden zusammenlaufen. Nach dieser Phase der einmütigen Festlegung auf Entwicklungsziele sollen sich die Automobilhersteller und andere Beteiligte wieder vereinzeln und in freier Konkurrenz entsprechende Produkte auf den Markt bringen. Noch in diesem Jahr läuft die Entwicklung von Prototypen an. Die vier bundesdeutschen Autohersteller, BMW, Daimler– Benz, Porsche und VW, die an Prometheus beteiligt sind, haben an ihren Ständen auf der Frankfurter IAA Infostände mit dem Ausblick in die schöne neue Welt des Verkehrs eingerichtet. Drei der sieben Teilbereiche werden in der gemeinsamen Regie der Autofirmen entwickelt. „Pro– Car“ befaßt sich mit der Entwicklung von „intelligenten Systemen, die den Fahrer aktiv unterstützen und ihn bei seiner Fahraufgabe entlasten“, mit anderen Worten: ein Auto–Bordcomputer, der nicht nur informiert, sondern auch mit gewissen Kompetenzen, z.B. dem Eingriff in das Bremssystem, ausgestattet ist. „Pro–Net“ bezeichnet die „Erstellung eines Fahrzeug–Fahrzeug–Kommunika tionsnetzes zur Erweiterung des Wahrnehmungsbereiches über den Sichtbereich hinaus, um einen harmonischen und sicheren Verkehrsablauf zu gewährleisten“. „Pro–Road“ schließlich ergänzt den Verbund durch Kommunikationsstrukturen zwischen den Fahrzeugcomputern und anderen, in der Verkehrsumgebung fest installierten Kommunikationselementen, wie etwa Sender oder eben jene Sensorsysteme, die AEG jetzt anbietet. Das AVES– System von AEG ist zwar kein Bestandteil von „Prometheus“, wird der Mutterfirma Daimler–Benz aber sicherlich wertvolle praktische Erfahrungen vermitteln. Die Philosophie des „Prometheus“–Projektes, dessen praktische Ergebnisse wohl erst in den 90er Jahren die Automobilausstellungen prägen werden, zielt weniger darauf, den Fahrern zusätzliche Informationen anzubieten, als seine „menschlichen Schwächen“ als verkehrsbestimmende Merkmale zu eliminieren. Das wird an der Inszenierung einiger Beispiele von Daimler–Benz deutlich: Ob der Fahrer überholen oder eine Kreuzung überqueren darf, entscheidet nicht er, sondern der Autocomputer, und zwar in Absprache mit den Autocomputern der anderen Verkehrsteilnehmer. „Der Mensch ist nicht immer voll konzentriert, läßt sich ablenken oder täuschen“, in Gefahrensituationen fehlt ihm „die Kaltblütigkeit für die richtige Gegenmaßnahme“. Anders die Auto–Computer: Sie „kommunizieren untereinander und verabreden die Reihenfolge der Kreuzungsüberholungen. Reibungslos, schnell und ohne Emotionen.“ Denn, so behaupten die Daimler–Experten: „Rechner sind emotionsfrei, objektiv und ungeheuer schnell in ihrer Reaktion. Zum Nutzen des Menschen.“ Unter dieser Prämisse dürfen wir als zukünftige Auto–Piloten froh sein, wenn uns der Bord–Computer nach Absprache mit seinen Kollegen in den anderen Fahrzeugen noch ein Mitspracherecht einräumt. Doch da beruhigt uns der Technologie– Chef von Daimler–Benz, Rudolf Hörnig: „Das Grundelement bisheriger Fahrweisen im Individualverkehr mit dem Fahrer als wichtigster Komponente wird erhalten bleiben.“

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