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Widerruf eines reuigen Kron zeugen

■ In einem morgen beginnenden Prozeß nach §129a setzte das Düsseldorfer Innenministerium auf einen anonymen Kronzeugen / Verdeckte Zeugenaussagen widerrufen / Von Petra Bornhöft

Obwohl die nordrhein–westfälische Landesregierung die von der Bundesregierung betriebene Kronzeugenregelung offiziell ablehnt, versuchte die Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft, in einem morgen beginnenden Prozeß wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (§129a) mit einem Kronzeugen zu arbeiten. Anonyme Zeugenaussagen sollten zur Verurteilung von zehn Wuppertaler Angeklagten führen. Aber der Kronzeuge sprang ab und widerrief.

Die ehemalige Düsseldorfer Polizeischule ist extra umgebaut worden. Zwar verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) hier bereits Menschen wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (§129a StGB). Doch für zehn Angeklagte, ihre Verteidiger und rund 150.000 Seiten Ermittlungsakten reichte der Platz nicht. Die Bedeutung des morgen beginnenden 129a–Prozesses liegt indes woanders. Nur aufgrund der Aussagen eines „verdeckten Kronzeugen“ aus den Reihen der Wuppertaler Angeklagten konnte die Justiz im zweiten Anlauf das Hauptverfahren eröffnen. Maßgeblich daran beteiligt war der NRW–Innenminister und lautstarke Kronzeugengegner Herbert Schnoor (SPD). Seine Behörden verheimlichten dem Gericht die Identität des produzierten „Gewährsmannes“, bis dieser selbst seine Lügen offiziell wiederrief. Sollte der fünfte OLG– Strafsenat die Beschuldigten trotzdem verurteilen, dann können zufällige Sprühergemeinschaften, Aktionsbündnisse und linke WG–BewohnerInnen mit einem „Terroristenprozeß“ rechnen - gleichgültig ob ein „Tatverdacht“ beweisbar ist oder nicht. Seit 1979 ermittelt die Justiz gegen Teile der linken Wuppertaler Szene. Die Polizei durchsuchte und observierte insbesondere zwei Wohngemeinschaften und deren Umfeld. Im Oktober 1982 war es soweit. Auf 150.000 Seiten kein Beweis Die Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft (GSta) erhob Anklage gegen elf Personen, denen das OLG später bescheinigte, „jeglicher Staatsautorität gegenüber schlechthin ablehnend gesonnen“ zu sein. Ihnen unterstellt die GSta alle „Schandtaten“ der vorausgegangenen drei Jahre in der Bergischen Stadt. Dazu gehören Parolen auf Hauswänden, kaputte Fensterscheiben bei Banken, Kaufhäusern und Parteibüros, Brandstiftungen oder auch mit Streichhölzern zugestopfte Türschlösser. Nur in einem Fall liegt ein konkreter Tatverdacht vor. Bei einem Feuer am Kreiswehrersatzamt hielten Zeugen den mutmaßlichen Urheber fest. Sein Verfahren wurde abgetrennt, der Angeklagte verurteilt. In allen anderen Fällen steht die GSta mit leeren Händen da, keine Verhaftungen, keine Geständnisse, keine Zeugen. Um dennoch Anklage erheben zu können, fabrizierten Beamten–Hirne die Wuppertaler „Antifa–Gruppe“. In diesem Gebilde sollen die Beschuldigten Mitglieder gewesen sein sowie die „Erschütterung und schließlich Beseitigung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse“ geplant haben. Die Beweise für die Existenz einer solchen „auf längere Dauer angelegten terroristischen Vereinigung mit organisierter Willensbildung“ waren jedoch derart dünn, daß das OLG per Beschluß vom 22.6.84 die Anklage nicht zuließ. Geburt des verdeckten Kronzeugen Gegen diesen OLG–Beschluß legte die Staatsanwaltschaft erfolgreich Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Am 6. November 1985 eröffnete der BGH das Hauptverfahren vor dem gleichen Senat, der die Anklage abgewiesen hatte. Das Auftauchen neuer „Beweismittel“ begründete die Wende: ein „Informant, der zum personellen Umfeld der Angeklagten gehörte und sich aus eigenem Entschluß an die Strafverfolgungsorgane gewandt hat“, wie es in dem BGH–Beschluß heißt. Wohlweislich erfuhren die Richter nichts über die Identität des plötzlich präsentierten „Gewährsmannes“. Denn rechtlich gesehen, existiert der (verdeckte) Kronzeuge in „Terroristenprozessen“ überhaupt nicht. Weder 1984, als das Landeskriminalamt (LKA) den Angeklagten Günter Pokorny dazu bewegte, über die vermeintliche Antifa–Gruppe „auszupacken“, noch im Herbst letzten Jahres. In der damals erneut aufgeflammten Debatte um die Einführung des Kronzeugen in „Terroristenprozessen“ erklärte Innenminister Schnoor medienwirksam dieses Instrument für „untauglich und gefährlich“. Zur gleichen Zeit hielt das Ministerium hartnäckig die Richter im Ungewissen über die Personalien des in Beweisnot produzierten Kronzeugen. Per Erlaß hatte Schnoor schon am 30.1.85 den LKA–Beamten die „Genehmigung versagt, über die Identität des Informanten auszusagen“. Er solle auch künftig als V–Mann dienen, habe mit Angriffen auf sein Leben zu rechnen und sei „glaubwürdig“, schrieb der oberste Polizeichef. Die vom LKA nachgereichten Vernehmungsprotokolle waren indes so mager, daß der in Sachen 129a erfahrene Richter Klaus Arend ein ergänzendes Verhör verlangte und der Polizei 74 Fragen schickte. Anstelle präziser Antworten schrieb das LKA lapidar, die „Gewährsperson“ habe zur „Struktur der Vereinigung erschöpfend ausgesagt“. Oberstaatsanwalt Rosenbaum verstieg sich gar zu der Behauptung, der Zeuge habe „jegliche weitere Aussage kategorisch abgelehnt“. Dem Gericht wurde verschwiegen, daß Pokorny gar nicht mehr befragt werden konnte. Monate zuvor, unmittelbar nach dem letzten LKA–Besuch bei dem wegen einer Drogengeschichte Einsitzenden, erhielt Pokorny eine Haftunterbrechung - und verschwand wenig später ins Ausland. Ob die Behörden die Flucht des ausgequetschten Kronzeugen billigend in Kauf genommen haben, steht dahin. Der inszenierte Deal fliegt auf Unterdessen verstärkte sich bei den übrigen Angeklagten der Eindruck, bei dem anonymen „Gewährsmann“ handele es sich um den Ex–Aktivisten Pokorny. Davon in Kenntnis gesetzt, fragte Richter Arend beim Ministerium nach. Wieder Fehlanzeige. Erneut verbot Schnoor der Polizei jede Aussage. Endlos zog sich der Schriftwechsel. Doch das Geheimnis lüftete sich. Zufällig entdeckten die Angeklagten Pokornys Spur. Günter lebte mittlerweile als „Richard“ in der Hausbesetzerszene Athens. In einem 41 Seiten umfassenden, nicht veröffentlichten taz–Interview zog Pokorny seine Aussagen gegenüber dem LKA zurück: „Wir arbeiteten an einer Gruppenkonstruktion (...) Die Gruppe, die gab es einfach nicht (...) 80 Prozent von dem was ich gesagt habe, ist irgendwie zusammengestunken und -gelogen.“ Überraschend in die BRD zurückgekehrt und sofort wieder eingebuchtet wegen der alten Hasch–Geschichte, widerrief Pokorny im Mai offiziell. Damit brach auch das von LKA und Innenministerium inszenierte Katz– und Maus–Spiel um den „Gewährsmann“ zusammen. Die Ausgangslage für den Mammutprozeß ist die gleiche wie vor fünf Jahren. Denn auch der vom BGH für wichtig befundene zweite „Zeuge“ neben Pokorny steht nicht zur Verfügung. Er ist irgendwann abgetaucht. Termine im September: 15.,16.,22.,23.,29. und 30.9. Jeweils 9.30 Uhr, Oberlandesgericht, Tannenstr.26, Düsseldorf

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