: Bremens Bürger umworben
„Neofaschisten betreten das Rathaus nicht wieder, dafür werde ich sorgen“, mußte gestern mittag der in Bremen mit absoluter Mehrheit weiter regierende SPD–Bürgermeister Klaus Wedemeier erklären. In der Tür stand Gerhard Frey jun., der Sohn des Herausgebers der Nationalzeitung. Nach heftiger Intervention des Grünen Landesvorstands–Sprechers Lothar Probst bot der DVU–Familien– und Partei–Vertreter seinen Rückzug an, falls kein Interesse an seinen Erklärungen bestehe - die Journalisten klopften zustimmend auf die Tische, er ging. Die politische Entscheidung des Wahlganges, der katastrophale Einbruch der CDU und der Sieg der SPD, die wieder mit einer absoluten Mehrheit allein den Senat stellen wird, stand so nur im statistischen Teil der Wahlauswertung im Vordergrund. Der Rückgang der Wahlbeteiligung von 81 auf 77 Prozent hat die SPD am wenigsten gekostet: Mit 196.835 Stimmen kam sie auf 50.5 Prozent (1983: 210.632 Stimmen, 51.3 Prozent). Nach der „repräsentativen Wahlstatistik“ hat die SPD vor allem in ihren Hochburgen ihre Wähler voll mobilisiert, in Stadtteilen mit hohem Neue– Heimat–Bestand (deren Bremer Anteile hatte der Senat zwei Wochen vor der Wahl gekauft) stiegt der SPD–Anteil noch über 60 Prozent hinaus. Bei der CDU, die im Land Bremen von 136.635 Stimmen 1983 (33,3 Prozent) auf heute 91.361 (23,4 Prozent) absank, gilt genau das Gegenteil: Sie verlor vor allem in ihren Stammbezirken und vor allem in Richtung FDP. Im Villenviertel Oberneuland etwa sank die CDU von 56,6 auf 36,2 Prozent. Da der Spitzenkandidat, der frühere Bundestagsabgeordnete Reinhard Metz und der Landesvorsitzende, der neue Bundestagsabgeordnete Bernd Neumann, in Bonn weilten, mußte Günter Klein die Union in Bremen vertreten. Er sah „keinen subjektiven personellen Grund“ für die Niederlage. Vor allem das Bonner „Sommertheater“ sei dafür verantwortlich, daß 19.000 CDU– Wähler zu Hause blieben. Die Union habe „taktische Wählerstimmen“ an die FDP abgegeben, und es sei „nicht gelungen, den rechten Rand zu stabilisieren“, erklärte Klein die Verluste. Drittstärkste Partei waren und bleiben die Grünen. Mit 10,22 Prozent (39.838 Stimmen) konnten sie ihr 83er Ergebnis fast verdoppeln (5,43 Prozent, 22.280 Stimmen), damals allerdings konkurrierten sie noch mit der „Bremer Grünen Liste“ und der „Betrieblich–Alternativen Liste“. Im Verhältnis zum 83er Gesamt–Ergebnis sind allerdings nur leichte Verbesserungen auszurechnen. Im Verhältnis zur Bundestagswahl vom Januar 87, bei der die Bremer Grünen bundesweit an der Spitze lagen, haben sie 22.292 Stimmen eingebüßt (BTW: 14,51 Prozent, 62.130 Stimmen). Die Wahlstatistiker weisen darauf hin, daß die Gruppe der 25–35jährigen, die am stärksten Grün wählten, auch die meisten Wahlenthaltungen aufweise. Die Alterspyramide der Grünen–WählerInnen verschiebt sich, unter den Jungwählern gewinnt die SPD Terrain zurück. Dennoch sind die Grünen im Bremer „Szene–Viertel“ Ostertor mit 34,8 Prozent (1.553 Stimmen) stärkste Partei, die SPD folgt mit 33, die CDU mit 18,3 Prozent. Fraktionsvorsitzender Ralf Fücks, der auf Platz zwei wieder in die Bürgerschaft einziehen wird, stellte in einer ersten Analyse der Stimmen–Ergebnisse fest: „Die Spekulation auf die rot–grünen Wechselwähler ist nicht im erhofften Ausmaß aufgegangen, obwohl wir gegenüber 1983 netto 8.000 SPD–Wähler gewonnen haben.“ Die Bremer Grünen hatten sich im Frühjahr auf eine Koalitionsaussage zugunsten der SPD festgelegt, damit aber keine große Debatte in der Stadt ausgelöst. In den letzten Wochen bot sich immer deutlicher die FDP der SPD als möglicher Mehrheitsbeschaffer an. Die SPD–Wahlanzeigen riefen direkt dazu auf, SPD zu wählen, „damit Sie eine Koalition verhindern, die Sie nicht wollen“. Sowohl Wechselwähler hin zur FDP wie hin zu den Grünen mußten sich durch diesen Hinweis zurückgerufen fühlen. Daß dies nicht funktioniert hat, behauptete (gestützt auf Infas–Hypothesen) FDP–Sprecher Claus Jäger. Der wendige Rechtsanwalt, der 1983 den Rücktritt Genschers gefordert hatte, sich inzwischen aber mit der Wende gut arrangierte, sieht 11.000 Stimmen aus dem SPD–Lager und nur 5.000 Stimmen aus dem CDU–Lager in der Verstärkung, die die Blau– Gelben in den reichen Vierteln Bremens erhalten haben: 39.003 Stimmen erhielten sie insgesamt, 10,01 Prozent. Nach einer schematischen Aufteilung der Stadtteile stritt die FDP um ihre Wähleranteile in denselben Stadtvierteln, in denen auch CDU und Grüne überdurchschnittliche Prozente erzielten. Über die Herkunft des rechtsradikalen Stimmenpotentials (landesweit 3,41 Prozent, 13.296 Stimmen, in Bremerhaven 5,4, 3.703 Stimmen) konnten die Wahlstatistiker wenig sagen. Überdurchschnittlich wurde die DVU von jüngeren und vor allem von über 60 Jahre alten Männern gewählt. Der SPD–Landesvorsitzende ließ sich dadurch zu der Formulierung bewegen, es handele sich um die „neuen, alten Nazis“. Klaus Wolschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen