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Wie Phönix aus der Flickasche

■ Am Wochenende wollen die Grünen stiften gehen / Von Ursel Sieber

Morgen beginnt in Oldenburg der Sonderparteitag der Grünen, auf dem sie sich für eine Stiftung entscheiden wollen. Vier Modelle stehen zur Auswahl: Das Projekt „Frauenstiftung“, die „Heinrich–Böll– Stiftung“, ein sogenanntes „Ländermodell“ und das „Bewegungsmodell“. Langfristig erwarten die Grünen bis zu 60 Mio. Mark.

Von der bornierten Ängstlichkeit zum mutigen Diskurs - so läßt sich zusammenfassen, was bei den Grünen alle Stiftungs–Modelle deutlich formulieren: Die Hoffnung, eine Grünen–nahe Stiftung könnte die Linksalternativen und die frauenbewegten Frauen in und außerhalb des Parlaments wieder an einen Tisch locken. Und weil es bei der Gründung einer Stiftung um die schnöde Verteilung von Millionen Märkern geht, wird in der grünen Stiftungsdebatte sehr tief in die Begriffskiste gegriffen: Da ist die Rede von Grenzüberschreitungen, Quer–Denken und neuen Utopien, von visionären Räumen und Experimenten, von Zukunftswerkstatt und Begegnungszentrum. Da die Grabenkämpfe innerhalb der Grünen heftiger werden, da sich die Wahlerfolge nicht mehr automatisch einstellen wollen und auch von den sozialen Bewegungen wenig Zulauf kommt, ragt die Stiftung wie ein Phönix aus der Flickasche. Weil die Bundesversammlung mit einer Debatte über den Zustand der Partei und die Wahlschlappen in Hamburg und Schleswig–Holstein beginnen wird, ist der Verlauf des Stiftungs– Parteitags noch wenig abzusehen. Da könnte die Aversion der „Basis“ gegen profilierungssüchtige „Promis“ z.B. schnell das Ende der Böll–Stiftung einläuten. Anders als früher wird jedoch die Frauenstiftung kaum mehr als ein Ausweg aus den festgefahrenen Strömungsstreit erscheinen. Zuletzt hat der Streit in Hamburgs GAL gezeigt, daß auch die Frauenliste strömungsmäßig eingebunden ist. Betonung liegt auf Parteiunabhängigkeit Der Parteitag soll keine Gründungsversammlung der Stiftung sein, sondern nur deren inhaltliche Stoßrichtung und ihre grundsätzlichen Merkmale festlegen. So wollen die Grünen die Parteiunabhängigkeit beweisen und zeigen, daß sie ihrer eigenen Argumentation treu bleiben wollen: 1983 hat die Fraktion vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Globalzuschüsse für parteinahe Stiftungen mit dem Argument geklagt, daß diese Gelder eine indirekte Parteienfinanzierung darstellten. Bekanntlich haben die Karlsruher Richter die grüne Klage abgewiesen. Alle Modelle für eine Stiftung betonen deshalb die Unabhängigkeit von der Partei: So sollen Parteimitglieder in allen Gremien immer in der Minderheit sein. Und ein Verbot von Doppel–Funktionen soll es geben. Die Böll–Initiative will zudem festschreiben, daß man von einem Amt in Fraktion oder Partei erst nach zwei Jahren in die Stiftung rotieren darf. Andererseits hat der moralische Druck, eine wirklich parteiunabhängige Stiftung zu gründen, eine ehrliche Debatte um die Ansprüche der Grünen an eine solche Stiftung verhindert. Die Vorschläge über Stiftungsmodelle verlaufen weitgehend entlang altbekannter Strömungs linien: So fühlen sich die dem realpolitischen Flügel Verbundenen eher von der Böll–Initiative angezogen. Die Frauenstiftung hat dagegen im Realo–Lager wenig AnhängerInnen gefunden. Das sogenannte Ländermodell wird von „Fundis“ und „Realos“ gleichermaßen hofiert, vielleicht in der Hoffnung, über die Landesverbände auf die Struktur einer Länderstiftung in der einen oder anderen Richtung Einfluß nehmen zu können. Und die Linken scheinen eher dem Bewegungsmodell zugeneigt. Strömungsübergreifend ist nur das breite Desinteresse, auf das die Stiftungsfrage in der Parteienlandschaft stößt. Das Tabu grüne Stiftung haben zuerst Lukas Beckman, Otto Schily und Fraktionsgeschäftsführer Michael Vesper nach der Klage gebrochen. Die lange Vorlaufzeit merkt man dem Vorschlag zur Böll–Stiftung an: Er ist am weitesten ausgereift, zumal da erfahrene Macher wie Beckmann oder Vesper an den Strukturmodellen herumgefeilt haben. So kann die Böll–Initiative heute bereits eine Liste von Personen präsentieren, die sie für eine erste Gründungsversammlung benannt haben (Die Böll–Stiftung soll in jedem Fall und unabhängig vom Votum des Parteitages gegründet werden). Bemerkenswert ist, daß Frauen wie Helke Sander oder Christina Thürmer–Rohr auf dieser Liste auftauchen. Offenbar hat es die Frauenstiftung versäumt, auch renommierte Feministinnen einzubinden. „Schutzraum“ Böll–Stiftung Den Vorwurf, ein „Geheimräte– Modell“ gebildet zu haben, haben „die Böller“, wie sie oft spitz genannt werden, teilweise entkräftet: Die Gründungsversammlung soll inzwischen nur noch zu einem Drittel aus den sogenannten „unabhängigen Einzelpersönlichkeiten“ bestehen. Das andere Drittel sind VertreterInnen aus Initiativen (wobei der Übergang allerdings fließend ist), und der Rest soll aus den Grünen–nahen Länderstiftungen kommen. Seit das Projekt Frauenstiftung Kreise zieht, ist das „Hexenhaus“ unter dem Dach der Heinrich–Böll–Stif tung dazugekommen: Ein Drittel der Globalzuschüsse bekommen die Frauen zur autonomen Verfügung. Von einer reinen Frauenstiftung grenzen sich die Frauen der Böll–Initiative mit dem Ghetto–Argument ab: Da bestünde die Gefahr, daß die Ergebnisse „im feministischen Sande verlaufen“. Doch am ursprünglichen Ansatz hält die Böll–Initiative fest: Der Name Heinrich Böll soll Programm sein; eine Heinrich–Böll– Stiftung wäre demnach „Symbol für das andere Deutschland und für die andere Republik“. So soll die Stiftung „ein Sammelpunkt sein, ein Stützpunkt und Schutzraum, ein Ort der Ermutigung und Unterstützung für Gruppen und Einzelpersonen, die versuchen, eine menschlichere, friedlichere und gerechtere Welt zu bauen“. Damit ist im Prinzip eine bestimmte Ausstrahlung erhalten geblieben, die ein Milieu im linksliberalen Bürger– oder aufgeklärtes Christentum sicherlich stärker anzieht als neu entstandene Subkulturen. Die Frauen haben sich der Stiftungsfrage zuletzt angenommen, und das merkt man dem Projekt Frauenstiftung auch an: Während die Böll–Initiative schon Personen benennt, haben die Frauen noch nicht einmal Strukturvorschläge parat. Mitte November soll öffentlich eine bundesweite Gründungsversammlung aller interessierten Frauen und Frauengruppen einberufen werden. Dort soll ein Stiftungsrat gewählt und die Satzung verabschiedet werden. Gerade dieses (an sich grüne) Prinzip der Offenheit erfordert einen Vertrauensvorschuß, der in Zeiten von Grabenkriegen und Strömungshickhack nicht unbedingt gegeben ist. Einzigartig am Projekt Frauenstiftung ist jedoch das politische und kulturrevolutionäre Signal: „Die Forderung nach einer Frauenstiftung geht für uns gegen das Monopol männlicher Entscheidungsmacht und Verfügungsgewalt“, so Gunda Werner vom Hamburger Frauenbildungszentrum Denk(t)räume. So zielt das Projekt auch gegen die Logik der Quotierung und gegen „die Austrocknung feministischer Inhalte durch Aneignung von anderer Seite“, wie Gunda Werner sagt. Ziel wäre demnach, „die gesellschaftsveränderde Kraft des Feminismus“ (Gunda Werner) wieder stärker ins Spiel zu bringen (Siehe Interview auf dieser Seite). Frauenstiftung färbt ab Ein Manko ist sicherlich, daß bisher nur die Parteisprecherin Regina Michalik und die Initiatorin der Hamburger Frauenliste, Adrienne Göhler, als prominente Frauen die Frauenstiftung unterstützen. Aber abgefärbt hat das Projekt Frauenstiftung doch: Das Länder– Modell schlägt seit neuestem nicht nur für den Bereich Internationalismus einen Sonderstatus für Frauen vor: Auf Bundesebene soll es nun auch einen autonomen Frauenbereich geben (Der Landesvorstand von Baden–Württemberg findet das freilich „ein falsches Zugeständnis am falschen Ort). Für die Geldvergabe an Projekte ist ein Kriterium der Frauenstiftung eingeführt: Geld sollen demnach nur die Projekte bekommen, die dem Abbau geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung dienen. Ansonsten bleibt das Ländermodell beim alten Prinzip: Die Stiftung wäre nur ein Dachverband der Grünen–nahen Landesstiftungen, die in der Mitgliederversammlung mit zwei Dritteln der Stimmen vertreten wären. Zentrales Stichwort des Ländermodells ist die Dezentralität. Die zentral organisierten Modelle sind demnach „Reisekaderstiftungen“. Von seiner Struktur her ist dieses Modell dem Aufbau der Partei am ähnlichsten. Das „Bewegungsmodell“ schließlich wurde von einigen Wortführern (und wenigen Wortführerinnen) der Bundeskonferenz Unanabhängiger Friedensgruppen (BUF) sowie des Bundeskongresses Enwicklungspolitischer Gruppen (BUKO) entwickelt. An der internen Debatte beteiligt war die Ex–Abgeordneten Gaby Gottwald. Die Stiftung soll, so wird formuliert, zu einem Instrument der Bewegungen werden und auch bewegungsübergreifende Diskussionen fördern. Das Interesse „der“ Bewegungen an einer Grünen–nahen Stiftung bewegt sich bisher jedoch bei null. Ein Stein des Anstoßes könnte in diesem Modell die Forderung werden, „Widerstand zu finanzieren“: Öffentlichkeitsarbeit, Strategie–Treffen, Kampagnen. Aber inhaltlich sagt das Modell noch wenig aus. Die meisten Mitglieder der Gründungsversammlung werden aus den verschiedenen sozialen Bewegungen und regionalen Zusammenschlüssen delegiert; einige unabhängige Einzelpersönlichkeiten sollen aus einem Förderkreis dazugeschickt werden. Vetorecht für alle Arbeitsfelder wird einem „Frauenrat“ eingeräumt.

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