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NRW: Neuer Flop bei Volkes Zählung

■ NRW–Politiker unterlief schwerer formaler Fehler in Sachen Volkszählung / Parlamentarische Zustimmung bei der Durchführungsverordnung zur Volkszählung fehlt / Erhebungsstelle zog Heranziehungsbescheid zurück

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Bei der parlamentarischen Verabschiedung der Durchführungsverordnung zur Volkszählung ist den nordrheinwestfälischen Politikern offenbar ein schwerer formeller Fehler unterlaufen, der die Volkszählung im größten Bundesland gehörig ins Wackeln bringen könnte. Bei der Verabschiedung dieser Durchführungsverordnung, die den Gemeinden im Zusammenhang mit der Volkszählung etliche Pflichten wie zum Beispiel die Pflicht zur Einrichtung von Erhebungsstellen auferlegt, haben die Parlamentarier versäumt, die Zustimmung des kommunalpolitischen Ausschusses des Landtages einzuholen. Diese ist jedoch nach Paragraph 3 der nordrhein–westfälischen Gemeindeordnung immer dann zwingend, wenn den Gemeinden neue Pflichten zugemutet werden. Eine Anhörung des Landtagsausschusses hat aber in NRW nachweislich nicht stattgefunden. Nach Auffassung der Detmolder Grünen und auch nach Einschätzung einiger zur Prüfung herangezogener Rechtsanwälte bedeutet dieses formale Versäumnis, daß die Durchführungsverordnung zur Volkszählung rechtswidrig ist und sämtliche Zwangsmittel der Erhebungsstellen nich tig sind. Herausgefunden hat diesen gewichtigen formalen Mangel ein ehemaliger höherer Beamter in der kleinen Stadt Brakel bei Minden. In seinem Widerspruch gegen einen Heranziehungsbescheid der Erhebungsstelle hatte er seine Weigerung zur Teilnahme an der Volkszählung damit begründet, daß die Durchführungsverordnung zum Volkszählungsgesetz in NRW nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Offenbar als Kenner der Materie hatte der Beamte auf die fehlende Zustimmung des zuständigen parlamentarischen Landtagsausschusses hingewiesen: „Eine Rechtsnorm, auf die sich der Stadtdirektor bei der Androhung eines Zwangsgeldes stützen könnte, „sehe ich daher nicht.“ Die Stadt Brakel sah sich mit dieser neuen Argumentation offenbar überfordert und leitete den Widerspruch zur Prüfung an das Statistische Landesamt weiter. Wie die obersten Statistiker sich dabei aus der Affäre ziehen könnten, ist jedoch nicht mehr zu erfahren. Denn in der Zwischenzeit hatte die Stadt Brakel ihre Erhebungsstelle geschlossen und den Heranziehungsbescheid zurückgezogen, so daß eine weitere juristische Klärung umgangen wurde. Auch das Verwaltungsgericht Minden, das Herr T. zur Beantragung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs angerufen hatte, brauchte keine rechtliche Prüfung mehr vorzunehmen, da die Angelegenheit ja durch die Rücknahme der Zwangsmaßnahmen gegen Herrn T. erledigt war. Juristen sehen dennoch in diesem jetzt entdeckten Verfahrensmangel gute Chancen, die Volkszählung in NRW ins Wackeln zu bringen. Sie verweisen allerdings auf ein Gegenargument der Volkszählungsbefürworter: Die NRW– Gemeindeordnung, auf die sich die jetzige Argumentation stützt, ist ein Instrument zum Schutz der Gemeinden. Wenn jetzt bei der Durchführung der Volkszählung gegen diese Gemeindeordnung verstoßen wurde, seien die Gemeinden diejenigen, die dagegen zufelde ziehen müßten. Ob auch ein einzelner Bürger sich auf Verstöße gegen die Gemeindeordnung berufen könne, müsse jetzt geprüft werden. „Aber“, so meint der Bielefelder Rechtsanwalt Werner Robbers, der die Angelegenheit bisher geprüft hat, „man würde eine gespaltene Rechtsmäßigkeit einführen, wenn man sagt: Für die Gemeinden ist die Durchführungsverordnung rechtswidrig, für den einzelnen Bürger ist sie aber rechtmäßig.“

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