: I N T E R V I E W „Er ist nicht mehr die Provokation, die er war“
Christian Kunert, 35, war von 1972 bis 1975 Miglied der Rockband Renft–Combo, die dann verboten wurde. Nach neun Monaten Knast wegen „Hetze“ 1977 aus der DDR in die Bundesrepublik abgeschoben, lebt seitdem in Berlin–West und macht Musik in der Band „Die Männer“. taz: Es gibt ein Lied von dir mit der Textzeile „Eine Sonne, die unter die Haut geht wie die Stimme von Bob Dylan - so rauh“... Kunert: Ja, das ist eine schöne Geschichte, DDR–mäßig. Es geht da um einen Lehrling, der nicht so gern zur Arbeit geht und zu spät kommt und sich eine Sonne bauen will, die sein soll wie die Stimme von Bob Dylan, so rauh. Das ist nur so ein Aufschrei, ein Lebensgefühl. Da gab es Ärger, wegen Dylan sowieso, weil es hieß, der hängt mit Aktien in der Rüstung drin. Er war aber unser Held, damals. Wie haben euch Dylans Texte und Musik beeinflußt? Er war, wie gesagt, für uns der Held. Aber das hatte mehr mit der Haltung zu tun, mit der Unverfrorenheit. Der war irgendwie unantastbar. Von den Texten hab ich nicht viel verstanden damals, weil ich wie die meisten kein Englisch konnte, wir lernten Russisch. Trotzdem hat er uns umgehauen, nur von der Art her. Man stellt sich dann vor, was die Texte haben könnten. Wann und wie habt ihr etwas von Dylan mitgekriegt? Er war ja selten in den Hitparaden, also mußte man sich ne Platte auf dem Schwarzmarkt besorgen. Kannst du dir vorstellen, was Dylan heute für ne Wirkung in der DDR hat? Ich geh mal davon aus, daß er noch ein Held ist. Hier mag ihn ja schon niemand mehr hören, geschweige denn sehen. Aber weil er nie drüben war, wird er zur Legende, und die wird plötzlich lebendig. Da geht der Teufel los und die Post ab. Auch andere, schon etwas abgegessene Künstler haben drüben ein Lebensgefühl wie auf keiner Westbühne, mit Menschen, die völlig begeistert sind. Ich hab Leute gehört, die haben von einem Peter Maffay–Auftritt erzählt: „Die schönste Stunde meines Lebens.“ Gibts in Zukunft mehr West– Musik in der DDR? Sie werden die einladen, die nicht so viel Geld kosten, weil sie gemerkt haben, daß es ein ganz gutes Ventil ist. Auf die Rolling Stones wird man verzichten, weil man nie weiß, ob die die Hosen runterlassen. Heute könntet ihr euren Refrain singen? Ich glaube ja. Dylan ist ja nicht mehr die Provokation, die er war, da ist er selber schuld. Und die Zeiten haben sich wirklich geändert. Interview von Herrn Thömmes
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen