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P O R T R A I T Der Pate von P2 ist müde

■ Licio Gelli, Logenmeister des mafiosen Nobel–Geheimbunds, stellt sich der Polizei

Aus Rom Werner Raith

Wahrscheinlich hat vor ihm nur der legendäre Teufelsanbeter Cagliostro aus dem 18. Jahrhundert die Phantasie der Italiener so angeregt wie der geheimnisumwitterte Logenmeister des Geheimbundes „Propaganda 2“ (P2): An die 1.000 illustre Namen umfaßt ein 1981 in Gellis Haus gefundenes P2–Mitgliederverzeichnis, von Generalstabschefs und Parteivorsitzenden bis zu den Leitern sämtlicher Geheimdienste, von hohen Verwaltungsbeamten bis zu Bankpräsidenten. In zahlreichen Geschäften und Gewaltaktionen soll er seine Finger gehabt haben, vom Waffenhandel mit den argentinischen Juntachefs bis zu mafiosen Rauschgiftdeals, von Rechtsputschen in Südamerika bis zum Anschlag auf den Bahnhof Bologna mit seinen 85 Toten. Nach seiner abenteuerlichen Flucht aus dem angeblich sichersten Gefängnis der Schweiz in Champ Dollon - stilgemäß mit Hubschrauberhilfe - lebte er fortan mit dem Ruch, sich verdutzendfacht zu haben: Geheimdienstler und Polizisten wollen ihn, mitunter gleichzeitig, in Peru und Spanien, in Brasilien und Österreich, aber auch in den USA und Chile gesichtet haben. Ganze Bücherregale füllt inzwischen die Literatur über ihn und seinen Geheimbund. Das meiste davon ist reines Phantasieprodukt: So erscheint er z.B. in Filmen wie „Allein gegen die Mafia“ oder im „Fall Moro“. Fest steht dabei nur weniges: So zum Beispiel, daß der 1919 in Pistoia geborene Gelli in den Listen der Mussolini–Faschisten und als Kollaborateur der Nazis auftaucht: In den sechziger Jahren hat er sich in den allgemeinen Logenverband vom Großen Orient eingetragen und sich von der damaligen Leitung mit dem Aufbau einer Art Edel–Abteilung beauftragen lassen, zu der nur Super–Potente Zutritt hatten - eben die „P2“. Möglicherweise kam seine Glücksstunde irgendwann 1973, als ein gefeuerter Geheimdienstoberst ihm ein paar Faszikel aus dem Schnüffel–Archiv als „Einstandsgeschenk“ in die Loge mitbrachte und Gelli damit ungeheuer zu wuchern verstand: mit Details aus dem Privatleben einiger bekannter Persönlichkeiten konnte er den Eindruck erwecken, daß er alles über alle wisse, preßte so manchen in seine Loge und andere zu Willfährigkeit. Langsam bemerkten freilich auch die von Gelli Ausersehenen, daß man mit der P2 - nicht unbedingt mit Gelli - etwas werden oder etwas anfangen konnte. Umsturzwillige Rechtsausleger sammelten sich in der Loge, Putschgedanken wurden erörtert, 1974 flog ein Komplott von Geheimdienstlern auf, die sich der P2 gewogen gezeigt hatten und offenbar die „Strategie der Spannung“, die Verunsicherung der Demokratie durch immer blutigere Anschläge, nach Kräften förderten. Dennoch ist es natürlich weit übertrieben, wenn man die politischen Wirren der gesamten siebziger Jahre, einschließlich der dann einsetzenden linksextremistischen Anschläge, Gelli und seinen Mannen in die Schuhe schieben will. Da gehörte schon andere Rückendeckung dazu - nicht umsonst geriet einer der Hardliner der damaligen Jahre, der christdemokratische Ober–Intrigant Giulio Andreotti, immer wieder in den Verdacht, hinter Gelli und seinen Ränken zu stehen. Ein dazu eingesetzter Untersuchungsausschuß erbrachte jedoch keine bündigen Belege dafür. Gelli, den Italienern bis zum Haftbefehl 1981 allenfalls mittelbar durch seine penetrante „Permaflex“–Reklame an den Straßenrändern als Matratzenfabrikant bekannt, erwies sich persönlich in allen Lebenslagen als Meister der Hochstapelei. Die Rückkehr des argentinischen Diktators Peron heftete er ungeniert an seine eigene Fahne, obwohl er allenfalls das Flugzeug für den Heimflug Perons gechartert hatte. Durch Finanzmanager der USA, die er in besseren Zeiten mit dem Mafia–Bankier Sindona bekanntgemacht hatte, bekam er auch Einladungen zu den Inthronisationen der US–Präsidenten - Reklame fürs Gelli–Image immerhin. In Turbulenzen geriet er Anfang der Achtziger, als der bislang im erbarmungslosen Kampf gegen Linke beschäftigte Carabinieri–General dalla Chiesa Witterung nach rechts aufnahm und für sich die P2–Mitgliedschaft beantragte, die jedoch nicht genehmigt wurde. Recherchen im Zuge des Zusammenbruchs der Sindona–Banken führten auf Gellis Spuren, 1981 folgten dann Hausdurchsuchung und Listen–Funde. „Italien zittert“ titelte damals LEspresso. Heute ist das Zittern wesentlich geringer: der „Maestro venerabile“ ist sterbenskrank, und selbst wenn er auspackt - die Spurenverwischkommandos haben in den letzten Jahren zuviel Sand in die Ermittlungen geschüttet, um noch Hoffnung auf irgendeine Wahrheit über die Loge P2 und ihre Hintermänner zu gestatten.

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