: Am Boden
■ Zur verlorenen Utopie grüner Politik
„Selbstghettoisierung“; „kein Hoffnungsträger mehr“; „zerstörte grüne Kultur“; „die Grünen ziehen niemanden mehr an“ - für knappe zwei Stunden war das der durchgehende Ton der kurzen Selbstkritik, die sich die Grünen nach der Wahlniederlage von Schleswig–Holstein auf ihrer Bundesversammlung leisteten. Es muß - immerhin - festgehalten werden, daß die Grünen sich bemühten, auf den Boden der Misere zu sinken, um sich dann vielleicht einmal wieder abstoßen zu können. Sie schienen begriffen zu haben, daß sie nicht nur gespalten sind, sondern, schlimmer noch, daß diese Spaltung nur noch die Oberfläche einer viel weitergehenden Misere berührt. Die Parteitagsbasis erhoffte sich offensichtlich nichts mehr vom Sieg einer Strömung über die andere, sondern schien zu begreifen, daß dieser liquidatorische Streit einer Zeit angehört, die (mit diesem Streit) verspielt wurde. Die wichtigste Einsicht: Die Grünen haben sich von den Menschen getrennt, mit denen und für die sie Politik machen wollen. Ein selbstkritischer Anfang, mit dem die Grünen allerdings nichts anfangen konnten, wollten. Und das macht alles nur schlimmer. In der einzigen substantiellen Entscheidung - in der Stiftungsfrage - opferten die Grünen die Idee der Böll– Stiftung jener zerstörten grünen Kultur, die sie vorher selbstkritisch beklagten. Die Böll–Stiftung war die einzige Initiative der Grünen in den letzten Jahren, die die SPD–Geschäftsführung ernsthaft alarmierte. Schließlich bemühen sich immerhin einige sozialdemokratische Funktionäre, eine Versöhnung mit den Linksintellektuellen einzuleiten und die Widerstände des sozialdemokratischen Milieus zu brechen. Die Idee einer politisch unabhängigen Stiftung war ein fragiles und kostbares Angebot jener kritischen Intelligenz zur Zusammenarbeit - und zwar nicht auf der Basis des heiligen Programms, sondern auf der Basis einer gemeinsamen Hoffnung für eine andere Republik. Es war der Versuch der Rückkehr zu den Anfängen, wo die Grünen einmal, für kurze Zeit, die erste Adresse selbständig denkender Menschen war. Seitdem war die Geschichte der Grünen die Geschichte der Vertreibung unabhängiger Geister. Es war vor allem aber der Test, ob die Grünen mit Sympathien unabhängiger Intellektueller etwas anfangen wollen. Sie wollen nicht. Die Bundesversammlung - alleingelassen von dem Opportunismus der StrömungsfürstInnen, die wie Schatten am Rande die Verdauungsprozesse des grünen Bauches beobachteten - votierte für die Länderstiftung, für den grünen Filz. Dezentral und also wünschenswert soll die Länderstiftung sein! Aber wer glaubt noch, daß die Kontrolle der Basisbürokraten durch sich selbst noch etwas mit Demokratie zu tun hat. Und dezentrale Verwaltung von 60 Mill. DM, beim gegenwärtigen Zustand der Grünen - das ist nichts anderes als freie Bahn für die Ellbogen an den Fleischtöpfen. Ein Signal des „Dialogs“ forderten die Selbstkritiker. Ein Signal wars allemal, aber dafür, daß der Dialog mit den Grünen sich kaum noch lohnt. Als „Promis“ wurden die Vertreter der Böll–Stiftung beschimpft und ausgebuht, eine geistige Lynchstimmung gegen Leute, die nichts anderes als ihr kritisches Engagement anboten. Die Grünen sind damit zur Avantgarde der „Altparteien“ geworden, denn Intellektuellenhaß war immer typisch für die deutsche Parteien(un)kultur. Nur die „Altparteien“ haben inzwischen gelernt, daß man das nicht mehr zeigt. Diese Entscheidung jedenfalls werden die Grünen teuer bezahlen. Und sie werden es nicht einmal merken. Die grüne Utopie war doch einmal mehr als das gesunde Überleben. Können diese Grünen noch unterstützt werden, die allenfalls für eine Zukunft kämpfen, wo man zwar weniger hustet, aber nicht freier atmet? Klaus Hartung
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