Pfingstere Zeiten in Freiburg

■ Nachdem alle besetzten Häuser geräumt sind, regt sich wenig in der Szene / Seit der Pfingstrandale Verhärtung zwischen linken Projekten und Autonomen / Richtet sich die Linke ein in der Stagnation?

Aus Freiburg Oliver Tolmein

Die Malteserordenstraße liegt weit außerhalb von Freiburgs Zentrum, in St. Georgen. Katholisch und kleinbürgerlich - das ist die Mischung, die dieser Ansammlung von Ein– und Zweifamilienhäusern das gar nicht so spezielle, dafür aber um so tristere Flair verleihen. Eine Frau kehrt die staubige Straße, ein Mann wäscht Auto - hier in der Nähe soll ich ein paar der „Schloßbergfrauen“ treffen. Namen kenn ich keine, nur eine Telefonnummer. Zitieren, das erfahre ich später, darf ich sie nicht und auch nicht erwähnen, an was für politischen Projekten sie jetzt arbeiten. Ein Hauch von Konspirativität und eine starke Brise Mißtrauen gegenüber „den Medien“ ist zu verspüren, die in den letzten Monaten wenig Interesse daran hatten, die Freiburger linksradikale Szene zu Wort kommen zu lassen. Als die letzten besetzten Häuser im Herbst 86 und Frühjahr 87 geräumt wurden - die „Erbse“, die Hildastrasse, Willi 8, Willi 36 und der Schloßberg - da pfiff der Szene aus dem Blätterwald ein kalter Wind um die Ohren. Nach den „Pfingst–Krawallen“ wuchs er zu einem Sturm an. Luftangriff gegen die „Chaoten“ Hatte noch kurz zuvor die Badische Zeitung über eine Aktion Autonomer gewitzelt: „Da haben wohl die Freiburger Chaoten ver sucht, Klein–Kreuzberg anzuzetteln“, tönte es jetzt selbstbewußt zurück: „Wenn sie Kreuzberg haben wollen, bitte sehr.“ Das wurde schneidend aufgenommen: „nackte Gewalt“, „Vandalismus“, „Krawalle“, „Chaoten randalierten“ und „Das letzte Gefecht?“ prangte es fett in den Überschriftenzeilen nicht nur der lokalen Presse. Auch Bild war dabei, Welt, FAZ, Frankfurter Rundschau und die Stuttgarter Zeitung. Der Ruf nach einer „harten Hand“ war noch der milde, denn manche legten gar nahe, gleich den ganzen „bekannten Untergrund“ mit seinen „geheimen Kommandozentralen“ einzustampfen. „Pfingstere Zeiten“ konstatierte die Stadtzeitung auf dem Titelbild ihrer Juli–Ausgabe und konnte auch ein Foto vom Luftangriff der SEKs gegen den besetzten Schloßbergring präsentieren: Aus dem Hubschrauber seilen sich Schwerbewaffnete auf das Dach des Hauses ab. Geblieben ist nur ein Trümmergrundstück, der Abriß ging so schnell vonstatten, wie die Repression nachließ. Heute denkt man auch in den Redaktionsstuben der Badischen Zeitung wieder darüber nach, wie bessere Kontakte zur Szene herzustellen sind. Und die nach Freiburg verlegten Polizeihundertschaften harren dort zwar aus, lassen sich im Alltag aber kaum mehr blicken. Die BewohnerInnen des Schloßbergringes 9/11, wie die postalisch korrekte Adresse lautete, leben jetzt wie die anderen Geräumten über die gesamte Stadt verstreut: Einige wenige sind in befreundeten WGs untergekommen, andere wohnen in einem ausgedienten Lagerraum eines Alternativprojekts, in einem großen Kellerraum oder erstmal gar nicht mehr in Freiburg, sondern sind irgendwo auf Tour, schließlich ist noch Sommer. Etliche Dutzend Leute haben seit den Räumungen kein Dach mehr über dem Kopf. Zwischenzeitlich haben sie sogar versucht, in der „Klara 100“, dem städtischen Obdachlosenasyl Unterschlupf zu finden, sind aber selbst dort abgewiesen worden. Die Frauen, mit denen ich rede, leben jetzt zu acht in vier Zimmern. Sie haben nicht nur ihre Bleibe, sondern ein ganzes Projekt verloren: Das zweiflüglige Haus war zur Hälfte „Frauenhaus“. Über ein Jahr lang haben die zwölf bis 18 Frauen von dort aus die Fraktionen der Freiburger Szene irritiert, und sie haben dafür ihre Quittung bekommen: Kein Flugblatt seit der Inbesitznahme der einen Schloßbergring–Hälfte durch die Feministinnen vergißt den „Kampf gegen das Patriarchat“ rasch noch unter den allgemeinen Forderungskatalog zu setzen, aber weder in einem kurzen Video der Medienwerkstatt Freiburg noch in irgendeinem Presseartikel wird das besetzte „Frauenhaus“ auch nur der Erwähnung für wert befunden. Dabei ist die Tatsache, daß es zu dieser spezifischen Form der Besetzung gekommen ist, charakteristisch für die Entwicklung der Freiburger Linken: Der Verlust dieses Hauses markiert ebenso deutlich, daß es in diesem Schlußkapitel des anachronistisch anmutenden Häuserkampfes um mehr ging als um billigen Wohnraum. Die Häuser als Symbol Die linke Bewegung - das verbindet die Provinzstadt Freiburg mit der Metropole West–Berlin und beide mit dem Rest der Republik. Erfolgserlebnisse sind zwar rar geworden. Es ist nicht einmal nach dem GAU in Tschernobyl gelungen, die Atomanlagen stillzulegen - geschweige denn die herrschende Klasse. Die Volkszählung ist zwar gescheitert - aber triumphieren kann man angesichts der politischen Schwäche der Bewegung darüber nicht. Die eigenen Reihen sind zwar kaum gelichtet, die radikalen Gruppierungen erhalten sogar etwas Zulauf - das Umfeld aber ist, jede Demo zeigts aufs neue, ausgedünnt. Nach Apo, K– Gruppen, bewaffneten KämpferInnen steht seit geraumer Zeit auch der linke Kern der neuen sozialen Bewegungen vor dem Abgrund. Ob er zu überbrücken sein wird, oder ob man bei dem Versuch, ihn zu überspringen, zerschellt, ist nicht auszumachen. Angesichts dieser Situation waren die besetzten Häuser in Freiburg Fluchtburgen auch für die, die nicht in ihnen lebten: Dort immerhin bewegte sich noch etwas. Und ihren BewohnerInnen erleichterten sie Orientierungsprozesse. Als die Schloßbergfrauen im Frühjahr 1986 in allen Gruppen, in denen sie aktiv waren, begannen, die patriarchalischen Strukturen zu attackieren und auf Änderung zu pochen, ermöglichte ihnen ihr Zusammenleben gemeinsame Strategien zu entwickeln, sie trotz der zum Teil harschen Reaktionen weiterzutreiben, weiterzufordern. „Zensurfreie Räume“, heißt es in Freiburg, seien die besetzten Häuser gewesen. Wertvoll, weil sie zumindest zum Teil Anlaufstellen waren, in denen ohne Genehmigung und Kontrolle durch die Stadt, ohne hohe Saalmieten Treffen und Veranstaltungen durchgeführt wer den konnten. Bollwerke gegen die Stadt waren die Häuser also, aber auch Freiräume für die eigene Entwicklung. Bewußt wurde der Szene das allerdings erst wieder, als sich erste Räumungen ankündigten und durchgeführt wurden. Nur, da war es zu spät. Trotz dreier Demonstrationen am 25.Mai, 20.Juni und 27.Juni, an denen sich zwischen 1.000 und 4.000 Menschen beteiligten, dominierte die Ratlosigkeit, die in der Pfingstnacht vom 6./7. Juni dazu führte, daß die Militanten der Szene ihr Heil beim Geist, nicht beim Heiligen, aber bei dem der Revolte suchten. Spaltung in der Pfingstnacht An diesem Abend feierte Radio Dreyeckland in der Giessereihalle auf dem Grether–Gelände zehnjähriges Jubiläum. Daß es die Grether–Fabrik trotz der Stadtsanierungspläne für das Viertel „Im Grün“ überhaupt noch gibt, ist ein Ergebnis der Häuserkampfunruhen. Der Frieden zwischen Stadt und den Projekten auf dem Grether–Gelände ist aber brüchig. Insbesondere um den Nutzungsvertrag für die Giessereihalle als Kultzurzentrum schwelt seit langem ein Streit. Während auf dem Gelände über tausend Leute feiern, machen sich ein paar Dutzend Leute daran, im Viertel Barrikaden zu bauen und anzuzünden. Der Rest ist schnell erzählt: Weil kaum Polizei verfügbar ist, können die Militanten frei agieren, eine Tankstelle wird geplündert, Interrent angesteckt, die Scheiben der Industrie– und Handelskammer klirren, die Leute aus dem Grether wandern auf die Straße ab, manche empört, manche begeistert. Bis in den frühen Morgen herrscht Randale. In den folgenden Tagen und Wochen wird die Aktion bewertet. Eine „Erklärung“ Militanter meint: „Am Samstag brach der individualisierte Haß jeder/s einzelnen auf und materialisierte sich in der Randale.“ Ein als interner Diskussionsbeitrag gedachtes Papier der „Schloßbergfrauen“ hält dagegen: „Nach ratlosen und inhaltsleeren Aktionsvorschlägen in den letzten Wochen bricht aus der Situation der Schwäche eine militante Aktion aus, die im nachhinein als Ausdruck unserer gemeinsamen Stärke ... verkauft wird.“ Die Kritik aus den nicht– autonomen Teilen der Szene richtet sich vor allem dagegen, daß das Radio Dreyeckland–Fest ohne jede Absprache instrumentalisiert wurde, nicht aber gegen die Barrikaden. Ähnlich sehen es die „Schloßbergfrauen“: „Entweder eine Aktion ist konspirativ und bleibt konspirativ, oder es ist eine Aktion aller, dann muß sie anders vorbereitet und ausgetragen werden.“ Aber anders als in den Jahren zuvor ist die Auseinandersetzung wirklich zu Papier erstarrt, und die Diskussionen werden in weitgehend abgeschotteten Zirkeln geführt. Insbesondere zu den linken Projekten, vor allem zu denen, die vor einiger Zeit die Häuser, in denen sie arbeiten, selbst gekauft haben, um einem drohenden Rausschmiß zu entgehen, ziehen etliche des militanten Flügels ihren Trennungsstrich. Die „Schloßbergfrauen“ finden diesen Spaltungsprozeß folgerichtig: Zwar hätte man früher miteinander geredet, aber eigentlich habe man sich schon länger nichts mehr zu sagen gehabt. Die Buchladenleute, Mitglieder der Medienwerkstatt Freiburg oder der Stadtzeitung sehen das kritischer, der Kabarettist Matthias Deutschmann faßt es in Worte: „Wenn Leute mit ihrer Politik an Grenzen stoßen, aber keine eigenen Fehler eingestehen wollen, müssen sie verraten sein. Dafür müssen wir jetzt herhalten.“ Aber trotz der verhärteten Fronten arrangieren sich die Fraktionen miteinander - Freiburg ist schließlich keine Großstadt, aus dem Weg gehen kann man sich eh nicht. Die von den Autonomen initiierte „Prozeßtheke“, an der seit langem regelmäßig „Kampftrinken“ zur Bezahlung von Prozeßkosten abgehalten werden, findet - seitdem die „Willi 36“ geräumt ist - im Buchladen Jos Fritz, einem der Kaufprojekte, statt. Ehemalige BesetzerInnen des 1980 nach heftigen Kämpfen geräumten Dreisamecks solidarisierten sich noch kurz vor den Politaktionen im Juni mit den neuen BesetzerInnen: „Daß aus uns nichts geworden ist, braucht euch nicht zu entmutigen...“ Standorte statt Ziele „Freiburg 2000“ heißt das Konzept, nach dem der sozialdemokratische Oberbürgermeister Böhme schaltet und verwaltet. Das Heil der Stadt mit der derzeit höchsten Arbeitslosenquote in Baden–Württemberg soll demnach in der Konzentration von High– Tech–Branchen liegen, die bei der Standortwahl nicht auf günstige Verkehrsverbindungen oder kurze Wege zur Zulieferindustrie angewiesen sind, sondern auf Attraktivität für ein hochqualifiziertes Fachpersonal. Freiburg will auch Kongreßstadt werden. Deshalb soll das zentrale Szene–Viertel „Im Grün“ einem Hotel– und Tagungskomplex weichen, deswegen ist es auch nötig, die militante Szene zu befrieden oder endgültig aus der Stadt zu vertreiben, während die linke Alternativkultur geduldet werden kann. Die Versuche von seiten der Stadt, Projekte und radikale Gruppen gegeneinander auszuspielen, sind allerdings auch in diesem Sommer gescheitert. Eine Gewaltverzichtserklärung beispielsweise, die die Kulturinitiative AAK hinnehmen sollte, um den Nutzungsvertrag für die Gießereihalle zu erhalten, wurde nicht unterzeichnet. Lediglich die Grünen im Stadtrat schwenkten schon recht früh auf einen Distanzierungskurs - aber die Grünen sind in der Freiburger Linken politisch bedeutungslos. Sie werden zwar von etlichen gewählt, aber niemand hofft auf ihren Weg. Allerdings hat auf die Frage, wie es außerparlamentarisch weitergehen soll, niemand eine Antwort parat. Vorübergehend sind, wo die Bewegungsrichtung unklar ist, Standpunkte gefragt. Das ist ein Ausdruck von Beharrlichkeit, birgt in sich aber die Gefahr der Erstarrung. Der Linken ist derzeit das Gesetz des Handelns entglitten. An der Tür der Szenekneipe „Reichsadler“, genannt: „Geier“, prangen noch die Veranstaltungsplakate vom Vorjahr. Graffitis dagegen, die - in den Wochen der Auseinandersetzungen nachts gesprüht - neue Aktionen und Parolen verkündeten, überdauerten kaum den nächsten Morgen: Die Stadt hat Trupps mit neuentwickelten Schnellreinigungsmitteln engagiert.