: Die Guerilla bestimmt das TV–Programm
■ Knapp zwei Monate nach dem indisch–srilankischen Abkommen zur Lösung der Tamilenfrage bestimmt die tamilische Guerilla im Norden Sri Lankas immer noch die politische Marschrichtung / Die Bauern in den zerstörten Dörfern versuchen, ihre verminten Felder zu bestellen / Skepsis gegenüber den indischen Truppen überschattet Erleichterung über das Ende der Flächenbombardements / Die singhalesische Administration hat nichts zu sagen
Aus Jaffna Biggi Wolff
„Ich verliere meine Sinne. Ich fühle, daß dies meine letzte Rede sein wird. Der Enthusiasmus und die Entschlossenheit meines Volkes geben mir die Kraft. Ihr alle müßt dazu beitragen, dies zu einem Massenkampf zu machen.“ Kurz nach diesen Worten starb Thileepan, 23jähriger Sprecher der tamilischen Guerillagruppe „Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) am letzten Sonnabend nach zehntägigem Hungerstreik in dem berühmten hinduistischen Nallur–Tempel in Jaffna. Drei Wochen zuvor, als ich ihn in einem von der LTTE als Hauptquartier umfunktionierten besetzten Privathaus gegenüber der Universität Jaffnas traf, kündigte er schon das Ende der vorübergehenden Ruhepause für die Guerilla an: „Nach der Unterzeichnung des indisch–srilankischen Abkommens am 29. Juli hatten unsere Kader vier Wochen Zeit, ihre Eltern zu besuchen und sich zu erholen. Aber ab morgen werden wir wieder die Ordnungsdienste auf Jaffna übernehmen.“ Die Guerilla hat sich entschlossen, die Stellung in ihrer alten Hochburg im Norden Sri Lankas auf jeden Fall zu halten, dessen Verwaltung sieund vor dem Abkommen mangels funktionierender ziviler Alternativen zwei Jahre lang unter ihren Fittichen hätten. Wer also in Jaffna in einen Verkehrsunfall verwickelt ist oder bestohlen wird, hat demnächts wieder die Auswahl zwischen den „Tigers“–Büros, indischen Friedenstruppen und dem Rathaus in Jaffna, um Beschwerden loszuwerden. „Anarchistische“ Zustände machen sich allenfalls im Zentrum der 200.000 Einwohner– Stadt bemerkbar, wo vollgepackte Lkws aus dem Süden Einbahnstraßen beliebig nutzen, gefolgt von Radfahrerpulks und Jeeps der indischen Friedenstruppen mit weißer Fahne an der Kühlerhaube. „Es besteht die Gefahr, daß sich die Leute an diesem höchst seltsamen Zustand gewöhnen“, befürchtet schon Jaffnas höchster Regierungsbeamter Panchalingam. Ein Funktelefon verbindet sein Büro im Rathaus mit dem Hauptquartier der indischen Truppen in Palali, 20 Kilometer nördlich der Stadt und mit der 350 Kilometer entfernten Hauptstadt Colombo. Bis das öffentliche Telefonsystem, das durch Sprengstoffanschläge der Tigers Anfang des Jahres zerstört wurde, auch nur provisorisch wieder installiert ist, wird es noch Monate dauern. Bis dahin ist Panchalingam, wie schon seit Übernahme der Verwaltung durch die Tigers 1985 im wesentlichen mit der Verwaltung seiner arbeitslosen Angestellten beschäftigt. Er hofft auf die Ankunft von 4.000 indischen Polizisten zur Verstärkung. Ob denn die LTTE bereit sei, sich dem bneuen politischen Prozeß einzuschalten, fragte ich Thileepan. „Alles hängt vom Verhalten der srilankischen Regierung ab. Eins ist jedoch klar - wenn die LTTE nicht den ihr zustehenden Anteil erhält, müssen wir mit anderen Mitteln weiterkämpfen.“ Die LTTE fordert die Mehrheit der Sitze in der Interimsregierung - „Die Abgeordneten der bürgerlichen Partei TULF sind nach Indien abgehauen, als Jaffna bombardiert wurde. Jetzt kommen sie zurück und beanspruchen die gleichen Rechte wie die LTTE, die im Kampf gegen die Armee 600 ihrer Kader verloren hat“, begründete der junge Sprecher den Standpunkt der Tigers. Man sei auch davon ausgegangen, daß die Polizeikräfte erst durch die Interimsregierung rekrutiert würden. „Stattdessen hat die srilankische Regierung schon begonnen, die gleichen Polizisten, die für die Grausamkeiten und die Unterstützung der Tamilen verantwortlich sind, wieder in die Nord– und Ostprovinzen des Landes zu schicken.“ Und so - Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser - regiert zumindest auf der 2.150 Quadratkilometer großen Jaffna–Halbinsel im Norden noch immer oder schon wieder die LTTE. Zweimal wöchentlich flimmern Propagandasendungen - kämpferische Musik zu Bildern trainierter Guerilleros - über die Fernsehschirme; die Tigers erteilen Lizenzen für den Alkoholausschank und informieren per Wandtafel an Straßenecken über die aktuelle Lage. Der erste Zug, der nach 17monatiger Unterbrechung am 1. September in Jaffnas Bahnhof einfuhr, war mit der LTTE–Fahne geschmückt. Im vor allem bei der Jugend beliebten Vergnügungspark der Stadt trinkt man statt importierter Coke die in LTTE–Betrieben produzierte „Nelli Crush“ aus einheimischen Früchten; die friedlich umhertrottenden Elefanten tragen Namen von Tiger–Märtyrern. Zwischen Erleichterung und Ablehnung Doch trotz der scheinbar friedlichen Koexistenz von Guerilla, indischen Soldaten und singhalesischen Bürokraten sind viele Tamilen in Jaffna mit dem neugewonnenen Frieden nicht recht glücklich. Mit den Worten „Wir wollen durch unsere eigenen Kämpfer und nicht von Indern befreit werden“, trifft der elfjährige Mayoran die Stimmung eines großen Teils der Bevölkerung im Norden. Vor sich hat er eine Sammlung von Handgranaten, leeren Munitionshülsen und Teilen von Landminen aufgebaut. Als die srilankische Luftwaffe im Frühsommer Angriffe auf Jaffna flog, entwischte er aus dem hauseigenen Bunker und verfolgte auf einer Palme sitzend, „wie sich unten an den Flugzeugen zwei Klappen öffneten und von einer großen Spirale immer zwei Bomben gleichzeitig abgedrückt wurden“. Und auch die 45jährige B., ehemalige Vorsitzende der „Mütterfront“ Jaffnas, ist zwar erleichert, daß keine Bomben mehr fallen, aber nicht glücklich über die Tatsache, „daß nun jeder zehnte Wagen auf der Straße ein indisches Militärfahrzeug ist“. Shanti, 32jährige Lehrerin, repräsentiert die weibliche Bevölkerung mit ihrer Empörung über die Forderung der indischen Befehlshaber, fahrradfahrende Mädchen sollen keine kurzen Kleider tragen. Quer durch alle Bevölkerungsschichten werden die unklaren Kompetenzen der indischen Truppen beklagt. Verwunderung über die Rolle der indischen „Friedenstruppen“ äußert auch Radjini, die junge Ärztin: „Statt daß sie sich als Puffer in Gebiete, in denen die Grenze zwischen tamilischen und singhalesischen Siedlungen verläuft, begeben, protzen sie hier auf Jaffna, wo nur Tamilen leben, mit den MGs herum.“ Minen wie Reis ausgesät Die indischen Truppen haben derweil andere Sorgen. „900 unserer Männer sind zur Zeit mit der Entschärfung von Minen befaßt“, erklärt Colonel Brar, der für Jaffna zuständige Befehlshaber der indischen Truppen. „Von 40.000 Land– und Tretminen sind erst 8.000 aufgespürt worden. Da die mit Plastik umhüllten Tretminen schwer auszumachen sind, müssen andere Leute Zentimeter für Zentimeter mit Detektoren vorwärtsgehen.“ Bei einer Fahrt durch die nord– östliche Region Vadamarachi, die bei der sogenannten „Operation Lliberation“ von srilankischen Truppen Ende Mai dem Erdboden gleichgemacht wurde, werde ich zum Haus eines Tamilen gerufen. Nach acht Monaten sei er nun zu seinem Grundstück zurückgekehrt, und am Tag zuvor, als er mit der Säuberung des Geländes begonnen habe, sei er prompt auf eine Mine gestoßen. „Durch reines Glück habe ich nicht den Zündungsmechanismus mit der Harke berührt“, erklärt er. Zu seinen Füßen liegt ein blaues Etwas halb vergraben in der Erde. 28.000 Rupien (2.000 Mark) will er von der Regierung als Wiedergutmachung für sein zerstörtes Lehmhaus fordern. Bushpananthan, Landwirt im Küstenort Velvettiturai, der heute überwiegend aus Ruinen besteht, hat Angst um die nächste Ernte. „Die srilankische Armee hat die Minen wie Reis ausgesät. Wenn das Land nicht innerhalb der nächsten 40 Tage gesäubert ist, verpassen wir mit der Aussaat den Monsunregen.“ Zwischen den zerbombten und verlassenen Häusern VVTs, wie die Heimat des LTTE–Chefs Prabakaran kurz genannt wird, klettern zwei Regierungsbeamte aus Jaffna herum; sie machen eine Bestandsaufnahme der Zerstörungen. Aus dem Rathaus Jaffnas kam am 2. September die offizielle Kriegsbilanz: allein auf der Jaffna–Halbinsel wurden 24.000 Häuser zerstört, insgesamt beträgt der Sachschaden 500 Millionen Mark. „Zwischen Teufel und Tiefsee“ Indische Rot–Kreuzler haben überall an Häuserwänden und halbzerfallenen Mauern Schilder angebracht, die wegen der Minengefahr vor einem Verlassen der Hauptstraßen warnen. „Wir leben hier zur Zeit zwischen dem Teufel und der Tiefsee“, sagt ein 49jähriger Lehrer in Point Pedro, dem nördlichsten Ort Sri Lankas, zynisch. Hinter ihm droht das zweistöckige Marktgebäude, dessen tragende Pfeiler von Granaten getroffen wurden, einzustürzen. „Manches mal während der Offensive habe ich bedauert, daß ich schon zu alt bin, um zu den Waffen zu greifen.“ Hinter einer Gandhi–Statue, der symbolträchtig der Kopf fehlt, und nur 200 Meter vom ehemaligen Stadtzentrum entfernt, hat sich die srilankische Armee hinter Sandsäcken und dicken Balken verschanzt. Genaue Angaben, wieviele singhalesische Soldaten noch auf Jaffna stationiert sind, sind nicht zu erhalten. Die Zahlen schwanken zwischen 600 und 2.000. Warum sie denn noch nicht in den Süden zurückgekehrt sind, frage ich drei junge Singhalesen, deren Gewehre wenig einladend aus den Schießscharten auf mich gerichtet herausragen. - „Ist den noch nicht Frieden?“ „Nein“, sagt ein 27jähriger, der seit fünf Jahren auf Jaffna Dienst tut und gibt nur eine wortkarge Begründung: „Terroristen“. Auch der Oberkommandierende der indischen Streitkräfte Generalmajor Harkirat Singh, als einziger autorisiert, Presseerklärungen abzugeben, ist nicht willens, Daten über die Stärke der indischen Truppen im Norden und Osten Sri Lankas zu geben. Ein dreifaches „peace, peace, peace“ ist alles, was man im Hauptquartier in Palali dazu erfährt. Eingeweihte sprechen von mindestens 10.000 indischen Soldaten, von denen die Hälfte auf Jaffna stationiert ist. Der indische Colonel Brar, der im alten Fort in Jaffna untergebracht ist, erhielt kürzlich Besuch von etwa 1.000 Demonstranten, Sympathisanten der „Eelavar Front“, dem politischen Flügel der militanten tamilischen Organisation EROS (Eelam Revolutionary Organisation). Sie forderten die indischen Truppen, denen sie ihre Waffen hatten aushändigen müssen, zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Garanten des Friedensabkommens auf: Entwaffnung der singhalesischen Bürgerwehren, sofortige Beendigung der singhalesischen Kolonisierung tamilischer Gebiete im Osten und die umgehende Entlassung aller 6.000 politischer Häftlinge waren ihre Forderungen. Angeführt wurde der Demonstrationszug von einem siebenjährigen Jungen, dessen Vater unter dem Terrorismusgesetz inhaftiert ist. Auf seinem Schild stand: „Solange mein Vater noch im Gefängnis ist, bin auch ich nicht frei.“ Als Generalmajor Harkirat Singh vorige Woche den Todesfastenden Thileepan sprechen wollte, wurde er von jungen LTTE–Kadern freundlich aber bestimmt aufgefordert, seinen Jeep zu verlassen und sich über das Tempelgelände Thileepan zu Fuß zu nähern. Der Oberkommandierende der indischen Truppen kehrte unverrichteter Dinge nach Palali zurück. In Colombo meldeten die Zeitungen am nächsten Tag per Schlagzeile, die „Tigers“ hätten Singh den Marschbefehl erteilt... In einer der nächsten Ausgaben berichtet Biggi Wolff über die Ostprovinz nach dem Friedensabkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen