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I N T E R V I E W „Endlich klar Schiff machen“

■ Andreas Müller–Goldenstedt (36), Betriebsratsmitglied bei den Hamburger Aluminiumwerken, seit 17 Jahren DKP–Mitglied

taz: Der Parteivorstand meint, ihr hättet gar kein Recht zur Diskussion eures umfassenden Kritikpapieres. Müller–Goldenstadt: Halte ich für ungerechtfertigt. Wir kommen eben nicht vorbei an einer Demokratisierung des inneren Zustandes der Partei. Wir müssen wieder mehr unseren Kopf gebrauchen, statt gläubig zum Vorstand zu gucken. Wir brauchen Verhältnisse, wo keiner mehr untergebuttert wird. Gibt es Diskussionsverbote? Diskutiert wird ja viel, nur darf es nicht nach außen dringen, beispielsweise nicht in die „UZ“. Hin und wieder gibt es mal einen kritischen Leserbrief, sonst nichts. Wie groß sind die Lager? Es gibt keine Fraktionen, aber Meinungsblöcke. Es gibt einen starken Meinungsblock, der die Veröffentlichungen im „Spiegel“ oder der „FR“ für schädlich und vom Verfassungsschutz lanciert hält. Und du? Ich finde gut, daß der Vorstand auf diese Weise gezwungen wurde, die Sachen mitglie derweit zu veröffentlichen. Am besten wäre es in der „UZ“. Kommt das? Ich habe angefragt. Das wurde verneint. Sind sich die 4000 Hamburger GenossInnen relativ einig? Glaub ich nicht. Aber viele sind doch der Meinung, daß wir uns, ausgelöst durch die Vorgänge in der SU, endlich auch mit unserer eigenen Vergangenheit beschäftigen müssen. An welche Fragen wollt ihr ran? Zuerst müssen wir begreifen, daß wir eine kommunistische Politik nur für unser Land machen müssen. Dann Ökologie. Wir haben immer Ausreden gehabt, was den Dreck in der DDR betrifft. Ich denke, wir müssen an unsere Bruderpartei rantreten und sagen, was ihr mit Elbe und Werra macht, das können wir in keiner Weise billigen. Bricht jetzt nicht für einige GenossInnen die Welt zusammen? Die GenossInnen, die jetzt lesen, daß es in der Sowjetunion Kriminalität gibt, Mangelerscheinungen, undemokratische Verhältnisse im Justizbereich, Schlamperei in den Betrieben, die fragen sich natürlich, was sie all die Jahre einfach geglaubt und behauptet haben. Da gibt es jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder jemand sagt, ich finde mich überhaupt nicht mehr zurecht oder aber: Jetzt will ich aber klar Schiff machen. Das geht ja bis an die Grundfesten, Personalfragen? Es muß nach meiner Meinung eine Enttabuisierung von Personalentscheidungen geben. Jeder muß in Zukunft das Gefühl haben, daß seine eigene Delegiertenstimme auch wirklich zählt. Wie betrifft dich eure relative Erfolglosigkeit? Mich schmerzt eben am meisten, daß wir nach 17 Jahren immer noch eine 0,3 Prozent– Partei sind. Wir müssen deutlich machen, daß wir in erster Linie für unser Land da sind und den GenossInnen in der DDR auch klarer sagen, das und das wollen wir hier nicht. Ist das nur die Frage der Ökologie? Nein, auch Ökonomie, kulturelle Fragen. Wir müssen wegkommen davon, die brennenden Fragen unter uns weiterhin wie Diplomaten in Schlips und Anzug zu behandeln.

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