Schulfeier für Grass

■ Dichter, denen wenig einfiel und ein erbärmliches Arrangement - Ingredenzien einer Geburtstagsfeier

Von Erich Kuby

Berlin (taz) - 60 Jahre alt geworden ist der Günter Grass gestern und ließ sich am Vorabend in der Berliner Akademie der Künste feiern. Grass, Akademie und Berlin, ein Gesamtkunstwerk wie Gorbatschow, Kreml und Politbüro. Dazu das Publikum im ausverkauften Saal, das wie jenes bei Gala–Veranstaltungen des Fernsehens belehrt worden zu sein schien zu klatschen - heftig und lange. Auf dem Podium drei Herren und eine Dame, literarisch wohlbekannt. Sie lasen Grass. Nur dem Ost– West–Dramatiker Heiner Müller war etwas Originelles eingefallen. Er las seine Grass–Kritik aus dem Jahre 1955 vor, ein blitzendes Stück von exquisiter Boshaftigkeit und Treffsicherheit. Der Geehrte schmunzelte. Das alles wäre nicht erwähnenswert, offenbarte diese Feierstunde nicht, daß Berlin es, was Weltläufigkeit und Niveau anbetrifft, mit, sagen wir, Augsburg und Itzehoe nicht aufnehmen kann. Als ob man sich in eine Abiturfeier verlaufen hatte. Das lag nicht an den Texten, nein, es lag an dem erbärmlichen Arrangement der Veranstaltung. Peinlich vor allem die Jubelbeflissenheit der paar hundert Berliner im Saal. Vermutlich gaben sie ihrer Freude darüber Ausdruck, den Abend nicht vor dem Fernseher verbringen zu müssen. Den größten Lacherfolg verbuchte der Präsident der Akademie, der sich mit Grass durch ein von diesem veröffentlichtes Kochrezept verbunden fühlte, was das Äußerste an literaturkritischer Intelligenz war. Grass bot Paraphrasen über seine Hausratte, die sogar die Sintflut überlebt habe, sodann die Menschheit insgesamt. Doch dafür war der Abend kein Beweis: Es hatten sich um den Rattenkönig, dieses Herzpinkerl der Berliner, nicht Ratten eingefunden, sondern wohldressierte Schoßhündchen, die Männchen machten. Alle zwei Minuten.