Mexiko wird reicher und ärmer zugleich

■ Höhere Devisenreserven denn je aber auch steigende Armut, Arbeitslosigkeit und Inflation

Mexiko–Stadt (dpa/vwd) - Mexiko wird reicher und ärmer zugleich. Fünf Jahre nach Ausbruch der Schuldenkrise 1982, als das Land am Rande des Bankrotts stand und die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Schuldenproblem der Dritten Welt lenkte, hat Mexiko heute größere Devisenreserven denn je - aber auch höhere Auslandsschulden und eine drückendere Armut als je zuvor. Dank günstiger Erdölpreise und massiver Steigerung der Exporte hat Mexiko Devisenreserven von 15 Milliarden US–Dollar angesammelt, zwei Drittel davon allein in den letzten zwölf Monaten. „Wir haben den Zusammenbruch vermieden“, sagte Präsident Miguel de la Madrid jetzt in seiner Jahresansprache. „Wir leben nicht länger in einer Zeit des Notstandes, sondern in einer Zeit der Erneuerung.“ Die günstigen Bedingungen halten an: Die Einnahmen aus dem Export von täglich 1,35 Millionen Barrel Erdöl fielen von Januar bis September 1987 schon höher aus als für das Gesamtjahr geplant war. Die übrigen Exporte erreichten im 1. Halbjahr 6,1 Milliarden US–Dollar (29,6 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres). Zugleich wurden die Importe um 7,6 Prozent auf 5,6 Milliarden US–Dollar gedrosselt. Mexiko ist schon so weit, zugesagte Kredite gar nicht mehr in Anspruch nehmen zu müssen. Diskutiert wird zur Zeit nicht, wie die Schulden zu bezahlen sind, sondern was mit den Devisenreserven geschehen soll. Vorgeschlagen wurde, einige Milliarden für den Rückkauf von Schulden oder zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu verwenden. Doch nach den jüngsten Worten des Finanzministers Gustavo Petricioli bleiben die Reserven wohl noch auf der hohen Kante, um der nächsten Regierung (ab 1988) politischen Handlungsspielraum zu lassen. Den Ruf, ein Musterknabe unter den Schuldnerländern zu sein, hat Mexiko mit über 48 Milliarden US–Dollar (etwa 100 Mrd. DM) erkauft. Soviel wurden seit 1982, dem Amtsantritt von Präsident de la Madrid, als Zinsen an die Gläubigerbanken überwiesen, weitere 18,5 Milliarden als Tilgungen. Trotzdem kletterte die Auslandsschuld auf 107 Milliarden US– Dollar. Für diese Politik, die ab 1988 der bisherige Planungsminister Carlos Salinas de Gortari als Nachfolger des Präsidenten fortsetzen soll, hat die mexikanische Bevölkerung einen hohen Preis bezahlt. Schrumpfende Wirtschaft (minus vier Prozent im vergangenen Jahr), hohe Arbeitslosigkeit (bis zu 50 Prozent Unterbeschäftigte und Arbeitslose), galoppierende Inflation (über 135 Prozent) und fehlendes Geld für zukunftswichtige Aufgaben wie Umweltschutz, Erziehung und Landwirtschaftsentwicklung sind die Auswirkungen der mexikanischen Schuldenpolitik. „Die Reallöhne sind gefallen, die hohe Inflationsrate hat die sozial schwachen Gruppen der Bevölkerung besonders hart getroffen und der allgemeine Lebensstandard ist gesunken“, räumte de la Madrid denn auch in einer Bilanz seiner Politik ein. Am 1. Oktober sind die staatlich festgesetzten Mindestlöhne um 25 Prozent erhöht worden. Damit liegen sie heute um 126 Prozent höher als vor einem Jahr - zu wenig, um die Inflation auszugleichen. Sie beträgt nach offiziellen Angaben über 135 Prozent. Im Bereich der Grundbedürfnisse und Arme– Leute–Nahrungsmittel ist sie jedoch noch höher.