: Greenpeace: zwischen Flugasche und hoher Politik
■ Mit einer Serie von Aktionen gegen Giftmüll–Verklapper in der Nordsee versucht Greenpeace, vor der Nordsee–Anrainer–Konferenz Ende November Druck auf London auszuüben / Eine Reportage von Paul Amberg
Andrew Booth, der Nordsee– Koordinator und Pressesprecher von Greenpeace, sitzt auf dem Vorderdeck und steht dem britischen Zeitungsreporter geduldig Rede und Antwort. Neugierige schauen sich interessiert auf dem Achterdeck um. Schließlich liegt das Greenpeace–Schiff „Sirius“ nicht alle Tage im Hafen von Newcastle und lädt zu einem Tag der offenen Tür ein. Nachdem um 17 Uhr auch die letzten Umweltinteressierten die Sirius verlassen haben, erscheint der in den fünfziger Jahren gebaute, ehemalige Lotsenkutter mit seiner Länge von 46 Metern weitaus größer, als man das Schiff von den Fernsehbildern im Gedächtnis hat. 1980 von Greenpeace gekauft und für die Umweltorganisation umgebaut, bietet das in Amsterdam registrierte Schiff 32 Leuten Platz. Eigentlich sollte noch an diesem Abend abgelegt werden, aber Andrew Booth entscheidet sich für eine Nacht Aufschub. Er hat von Beobachtergruppen an Land die Information bekommen, daß noch keines der anvisierten Dumping– Schiffe beladen ist. Die zweimonatigen Aktionen der Sirius in britischen Gewässern sind Teil der Nordseekampagne „The tide must turn“, mit der Greenpeace im Vorfeld der Ende November in London stattfindenden Umweltkonferenz der Anrainerstaaten auf die katastrophale Situation des verseuchtesten aller Weltmeere hinweisen will. Während die 24 Besatzungsmitglieder die Sirius am nächsten Morgen startklar machen und das Schiff schließlich aus der Tyne–Mündung heraussteuert, erklärt Andrew Booth den mitfahrenden Journalisten und Fernsehcrews noch einmal den Zweck der bevorstehenden Aktion: Großbritannien ist der einzige Anrainerstaat, der sich auch auf der kommenden Umweltkonferenz weigern wird, die Verklappung von giftigen Stoffen in der Nordsee ab 1990 einzustellen. Als einziges EG– Land versenken die Briten auch immer noch toxischen Abwasserschlamm in die Nordsee. Die Folgen dieses umweltpolitischen laissez faire, wozu auch das Versenken importierten, ausländischen Mülls in britischen Gewässern gehört, sind hier an der Nordostküste Englands um Newcastle festzustellen: Der Küstenstreifen zwischen Tyne und Tees gilt als der bevorzugte Ablade platz für flüssige chemische Substanzen, Baggergut aus verseuchten Industrieanlagen, für giftigen Schlamm und Flugasche. Letztere ist das schwermetallhaltige Verbrennungsprodukt von Kohlekraftwerken. Die Überreste der verbrannten Kohle werden in nicht einmal seetauglichen Schiffen einfach drei bis vier Kilometer vor der Küste abgekippt. Mit katastrophalen Folgen: auf fünf Qua dratkilometern ist hier jegliches Meeresleben abgestorben. Auf der Sirius werden in der Zwischenzeit schon die vier mitgeführten Schlauchboote und das etwas stabilere Presseboot startklar gemacht. Die Kommandos kommen von Ron, dem „Action– Leader“, der die unter Umständen lebensgefährliche Aktion leitet. Zwei Leute sollen sich so an das mittlerweile geortete Dumping schiff, die „MVA“, anketten, daß ein Öffnen der Müllrutschen nicht ohne die Gefährdung von Menschenleben möglich ist. Nachdem dieser Teil des Plans geklappt hat, gelingt es Ron schließlich, die „MVA“ zu entern. Als er dem Kapitän einen Protestbrief überreichen will, in dem Greenpeace seine Aktion erklärt, findet er die Kommandobrücke verschlossen vor. Dennoch dreht die „MVA“ am Ende Richtung Hafen ab, ohne sich des Giftmülls entledigt zu haben. Erfolgreich kehren die drei wieder auf die Sirius zurück, wo auch die Fernsehleute wegen der spektakulären Bilder zufrieden sind. Nur Andrew bleibt dennoch skeptisch, obwohl er sich über die Medienwirksamkeit der Aktion freut. Am nächsten Tag wiederholt sich die gesamte Aktion draußen vor der Küste, nur daß die Polizeibegleitung der „MVA“ die beiden Festgeketteten diesmal mit einem Bolzenschneider losschneidet und festnimmt. Die drei Greenpeace– Boote setzen nun auf der bewegten See Schwimmer mit Bojen ab, die das Dumpingschiff an der Verklappung hindern sollen. Über Megaphon fordert Andrew den Kapitän der „MVA“ auf: „Stoppen sie ihre Maschinen, vor ihrem Schiff sind Menschen, die Sie sonst unnötig gefährden“. Doch der Appell verklingt ungehört und plötzlich öffnet sich der gewaltige Rumpf des Schiffes und die gehäuften Berge der Flugasche verschwinden trotz der gefährlich nahe treibenden, bemannten Greenpeace–Bojen im Meer. Der Sirius bleibt nichts anderes Übrig als die Schwimmer wieder an Bord zu nehmen und wieder Kurs auf Newcastle zu nehmen. Das Verbrennungsschiff „Vulkanus“, so erfährt Andrew Booth dort im Hafen, ist aus spanischen Gewässern auf dem Weg an die britische Ostküste, um dort Pestizid– und PVC–Abfälle mit Duldung der britischen Behörden zu versenken.
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