Grüner Krach um Zyklon B

■ Soll die Herstellerfirma Degesch geschlossen oder umstrukturiert werden? / Frankfurter Radikalökologen und Fundis im Streit / Linke Initiative und Prominente plädieren für Schließung

Von Oliver Tolmein

Frankfurt (taz) - Kann deutsche nationalsozialistische Vergangenheit ökologisch konvertiert werden? Die Frage mutet absurd an - sie hat aber einen bitteren realpolitischen Kern, der heute abend auf der Sitzung des Frankfurter Kreisverbandes der Grünen Thema sein wird. Es geht um die Firma Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH), deren Existenz seit einem Erweiterungsantrag (siehe taz vom 15.8. und 21.8.) ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt ist. Die Degesch hat die Massenvernichtung von Juden im Konzentrationslager Auschwitz mitzuverantworten: Sie produzierte das zur Tötung eingesetzte Zyklon B und lieferte es ab 1943 sogar selbst tonnenweise in das Vernichtungslager. Bis heute hat die Degesch keine wie auch immer geartete sogenannte Wiedergutmachung geleistet, sie hat nicht einmal ihre Produktpalette umgestellt. Lediglich der Name des Vernichtungsprodukts wurde geändert: Zyklon B heißt heute Zyanosil. Nachdem durch die Erweiterungspläne von Degesch bekannt wurde, daß diese Firma immer noch existiert, haben Frankfurter Linke eine mittlerweile unter anderem vom Zentralrat der Roma und Sinti, von Mitgliedern des „Auschwitzkomitees“, Robert Jungk, Erich Kuby, Eva Demski, Alexander Schubart und der französischen Vereinigung Deportierter, Internierter und Widerstandskämpfer (FNDIPP) unterstützte Initiative ergriffen: Die Degesch soll geschlossen werden. Die realpolitischen Grünen im Römer formulierten dagegen einen ausschließlich in ökologischen Kategorien gehaltenen Antrag: „Angesichts der ökologischen Unverträglichkeit und Sinnlosigkeit der Produkte und Produktion sowie der NS–Vergangenheit der Firma Degesch ist hier die einmalige Voraussetzung für ein Modellprojekt gegeben: von ökologisch unverträglicher zur verträglichen Produktion überzugehen.“ Die Nichtauflösung der Firma Degesch mochten sie nur als „historisches Versäumnis“ ansehen; die Firma heute zu schließen stelle „keine echte Vergangenheitsbewältigung dar“. Allerdings zeige „dieses Beispiel, wie unvollständig die Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit auf allen Ebenen unserer Gesellschaft noch immer ist“. Nach längeren Diskussionen mit den Initiatoren der außerparlamentarischen Anti–Degesch–Initiative schlugen die Radikalökologen im Römer einen anderen Kurs ein: „Es gibt keine Konversion aus der deutschen Geschichte“, meint Björn Uwe Rahlwes, und in einem Papier argumentieren sie: „So sinnvoll (...) grundsätzlich die anzustrebende Konversion der heutigen Chemieproduktion auch ist, können wir doch nicht in diesem Fall durch unsere Konversionsforderung entscheidend dazu beitragen, dem Produzenten und Lieferanten von Zyklon B in Vergangenheit und Gegenwart den Schleier des Verdrängens und Vergessens umzuhängen.“ Ein Diskussionspapier zur heutigen Kreisversammlung, die entscheiden soll, ob es beim grünen Realoantrag bleibt, faßt den Konflikt noch schärfer. Es sei auszugehen davon, daß „das zugespitzte Symbol dessen, daß es jemandem trotz und sogar wegen Auschwitz heute gut geht, die Firma Degesch (ist)“. Deswegen sei der Antrag der Realo–Grünen und autonomen Frauen „fürchterlich“, denn: „Was hat die Beteiligung an dem faschistischen Verbrechen überhaupt mit der Ökologiefrage zu tun? Ist es wirklich so, daß der Gipfelpunkt grüner Vergangenheitsbewältigung im ökologisch sinnvollen Produzieren liegt?“ Am Donnerstag werden, wenn die Kreisversammlung nicht anders entscheidet, die beiden kontroversen grünen Anträge in der Stadtverordnetenversammlung behandelt.