: „Tötet! Tötet! Tötet den Bär!“
■ Ausbrüche von Gewaltphantasien und Berliner Witz bei der „Jubelparade“ des „Büros für Ungewöhnliche Maßnahmen“ zum endgültig–offiziellen, heißersehnten Abschluß des Berliner Heucheljubiläums / Apotheose des neuen Lebensgefühls jenseits der Parlamente: Gefühl und Schärfe für Stadt und taz, unversöhnlich gegen Polizei
Aus Berlin Wolfgang Seltsam (sic!)
Der Breitscheidplatz rund um die Ruinen der Gedächtniskirche, sonst die postmodern–öde Gute Stube des reichen Charlottenburg (und belebt höchstens als Startpunkt der Turi–Rennbahn) war von Polizeitransportern umstellt, obwohl die Einsatzleitung Zurückhaltung versprochen hatte. Dennoch hatten sie bereits eine „Haßkappe“ beschlagnahmt, um klarzumachen, daß „Vermummungen nicht geduldet würden“. Ab wieviel Prozent Gesichtsbedeckung eine Maske denn als Vermummung gelte, befragten wir einen Polizeiführer, dessen gesunder Vollbart etwa zwei Drittel seiner Hautfläche verbarg. Ob Vermummung oder keine, entscheiden sie alleine, vor Ort, und je nachdem der Einsatzleiter den Eindruck gewinne, die Masken seien zur ordnungswidrigen Vermummung bestimmt und kein Theaterrequisit: „Wenn Masken nur getragen werden, um sich zu vermummen, werden wir einschreiten, wenn es nur darum geht, uns zu provozieren.“ Und so geschah es. Bis zum Abend wurde die beschlagnahmte Motorradmaske nicht zurückgegeben, aber die Polizei hätte tausende ähnlicher Ordnungswidrigkeiten verfolgen können, denn man konnte in der wilden Mischung von Demonstranten, echten Autonomen und geschmacklos gekleideten echten US–Touristen kaum unterscheiden, wer es hier auf dem Platz böse meinte und wer nicht. An provozierender Bösartigkeit war der Aufmarsch jedoch kaum zu überbieten und nur weil diesmal alles als „Satire“ deklariert war, fand die Staatsmacht keinen Anlaß zum Eingreifen. Am gemeinsten war eine täuschend echt vermummte EX–Einsatztruppe, die am Rande des Weges scheinbar Unbeteiligte brutal zusammenprügelte, an ihre Original Alt–“Bullenwanne“ kettete und foltermäßig durchsuchte: Diese Szenen zeugten von äußerst genauer Beobachtung der EX– Einsätze seit dem 1. Mai in Kreuz berg, und obwohl die Zuschauer wußten, das ist jetzt nicht echt, hielt man sich lieber in respektvollem Abstand von den Prügelhorden. Direkt vor dem Cafe Kranzler machten sich zwei „EXler“ über ein paar harmlose Wilmersdorfer Witwen auf Einkaufsbummel her und unter dem unbeschreiblichen Jubel des Publikums drehten diese ihre Regenschirme um und schlugen die Killer in die Flucht. Im Straßentheater werden Träume wahr. Ronald Reagan wurde standesgemäß von zwanzig Uniformierten auf Motorrädern eskortiert, über und über mit Bären Fähnchen dekoriert. Die kleinen Kinder auf Papis starken Armen durften auf die Behelmten mit aller Kraft einschlagen und sie mit riesigen grauen Pflastersteinen aus Styropor bewerfen, die starken Recken vom Motor Sport Club „Kuhle Wampe“ riefen laut „aua“ und die Kleinen kreischten vor Vergnügen. Die Eltern auch. Auf dem Höhepunkt der erlaubten Zerstörungswut wurde der Berliner Bär erlegt, standesgemäß vorm Kranzler. Eine sechs Meter hohe rosa Pappfigur mit erigiertem Riesenpimmel, der wacker den ganzen Marsch durchgehalten hatte fiel den vereinigten Anstrengungen der lustvollen Symbolkiller stöhnend und krachend zum Opfer. „Tötet den Bär“ jauchzten die Massen trampelnd und reißend, und alle die graugrünen Gewaltlosigkeitsapostel hätten das miterleben müssen, wie verbreitet untergründige Hassphantasien sind. (Wo die entstanden sein mögen und wie leicht sie sich mobilisieren lassen.) Ein genauer Spiegel der alltäglichen strukturellen Gewalt in der Stadt. (Die Wut lebt, und nicht ewig werden die Steine am Gummiband bleiben.) Kohl, die Atommafia, §–218– Befürworter bekamen ihr satirisches Fett weg sowie alle Ereignisse und Institutionen, die dem linken Spektrum dies Jahr das Leben schwer machten: Hundekot (“Leistungsbilanz“), Volkszählung (Flugblätter auf Zählbögen produzierte „taz Extra“ verhöhnte Artikel und Kommentare und war schnell ausverkauft. Geschmackloser Höhepunkt bildete eine Parade von „Barschelwannen“, versehen mit einschlägigen Medikamenten und der Empfehlung auch an andere CDU–Politiker, öfter zu baden. Ganz im Sinne traditioneller Demo–“Kultur“ sah man auch die Transparente mit den verabredeten „Hauptforderungen“: „Nix geht über Bärenmacke–Jagdschein für alle!“, „Das ist die Berliner Gruft, Gruft, Gruft...“ und voran die Parole der „offiziellen“ 750–Jahr–Feier: „Berlin ist wieder dadada.“ „Humor“ ganz anderer Art bewies eine echte Dame im Kashmere–Look, die mit verbissenem Gesicht am Rande mitging und ihre betonte Ablehnung des „Skulpturen boulevards“ demonstrierte: „Dr. Hassemer sucht dringend Lokomotiven, Autowracks, Zahlt Höchstpreise“, war auf ihrem Pappschild, alles in braun, zu lesen, und: „Rufen sie nicht gleich die Müllabfuhr, es könnte Kunst sein.“ Ein Lachen wird es sein, was Euch beerdigt; - so eins nicht. Dr. Seltsam
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