USA schieben Altnazi ab Keine Anklage in der BRD

■ Ehemaliger SS–Unterscharführer Reinhold Kulle in die BRD ausgewiesen / Kulle sei als KZ–Wachmann in Schlesien an Hinrichtungen beteiligt gewesen

Berlin (taz) - US–amerikanische Behörden haben am Montag den ehemaligen SS–Unterscharführer Reinhold Kulle in die BRD abgeschoben, der im schlesischen KZ Groß–Rosen an mehreren Hinrichtungen unmittelbar beteiligt gewesen sein soll. Kulle arbeitete in Groß–Rosen von 1942 bis 1945 in der Wachmannschaft. In diesem Zeitraum starben dort 50.000 Häftlinge - sie wurden hingerichtet oder verhungerten. In der Bundesrepublik braucht er dennoch nicht mehr mit einem Strafverfahren zu rechnen, weil „keine Anhaltspunkte für noch verfolgbare Straftaten vorliegen“, wie der Leitende Oberstaatsanwalt der Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung von NS–Verbrechen, Alfred Streim, gegenüber der taz erklärte. Kulle hatte 1957 bei seiner Einreise angegeben, daß er während des Zweiten Weltkrieges als einfacher Soldat bei der Wehrmacht gedient habe. Erst 1982 gestand er seine SS–Vergangenheit. Seit 1983 lief ein Verfahren gegen ihn wegen dieser Falschangaben bei der Einwanderung. Am Montag verwarf der Oberste Gerichtshof der USA in letzter Instanz Kulles Gesuch gegen die Abschiebung. Unmittelbar danach wurde er in ein Linienflugzeug Richtung Germany gesetzt. Bereits in der Vergangenheit haben ähnliche Fälle Aufsehen erregt. Fortsetzung auf Seite 2 1984 war der Raketenbauer Arthur Rudolf in die BRD zurückgekehrt, um einem Prozeß über seine NS–Vergangenheit vor amerikanischen Gerichten zu entgehen. Rudolf hatte jahrelang in den USA Raketen entwickelt, unter anderem war er am Bau der Mondrakete und der Pershing 1 beteiligt. Amerikanische Justizbehörden warfen ihm die unmittelbare Beteiligung an der „Drangsalierung von Zwangsarbeitern, darunter Insassen des Konzentrationslagers Dora–Nordhausen“ vor. In der BRD wurde Rudolf nicht belangt. Ein Vorermittlungsverfahren, das in Ludwigsburg gegen Kulle angestrengt worden war, mußte eingestellt werden. Die „konkrete Beteiligung“ an Tötungen oder auch nur Beihilfe dazu habe man nicht nachweisen können, sagt Oberstaatsanwalt Streim. Angesichts des Alters von Beschuldigten und möglichen Zeugen sei in NS–Prozessen generell die Beweislage schlecht. In den vergangenen Jahren hat es nach Schätzung der Ludwigsburger Zentralstelle nur noch drei bis vier Hauptverfahren pro Jahr gegeben. Von den etwa 60 Verfahren in den vergangenen drei Jahren ist laut Streim bisher in keinem einzigen Fall Anklage erhoben worden.