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Grüne Abgeordnete geben sich als Arbeitgeber

■ Unter den MitarbeiterInnen in der Bundestagsfraktion der Grünen herrscht heftiger Unmut über die Arbeitsbedingungen / Kündigungen bestimmen das Klima / Betriebsrat erhält vertraulich Beschwerden / Anfängliche Solidarität bröckelt

Von Charlotte Wiedemann

Bonn (taz) - In der Firma Tulpenfeld ist der Betriebsfrieden nachhaltig gestört. Die Firma - das ist der Apparat der Grünen Bundestagsfraktion, in dem ein Heer von 182 Angestellten für das parlamentarische Output der 44 Abgeordneten rackert. Zwar sitzen alle, ob Abgeordnete (MdB), Doktor oder Tipperin, gemeinsam im Hochhaus am Bonner Tulpenfeld; doch das Gefühl, in einem Boot zu sitzen, ist längst verflogen. Für manche MitarbeiterInnen ist das grüne Raumschiff zur Galeere geworden. Auf einer Belegschaftsversammlung in der vergangenen Woche wurde der lang angestaute Unmut in Worte und Resolutionen gefaßt: Die Angestellten in den Abgeordnetenbüros müßten unter teilweise „repressiven Bedingungen“ arbeiten, die Atmosphäre lasse manchen keine andere Wahl, als einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben. Sieben Kündigungen sind aus jüngerer Zeit bekannt, und da sich darüber hinaus die Kündigungsdrohungen gegen MitarbeiterInnen häuften, forderte die Belegschaftsversammlung von den „lieben Vorstandsmitgliedern“ schriftlich eine allgemeine Abfindungsregelung. Seit die Fraktion bei Beginn dieser Legislaturperiode ihren Apparat umstrukturierte und jedem MdB zwei persönliche Angestellte (eine wissenschaftliche und eine SachbearbeiterInnenstelle) zuordnete, bestimmen weitgehend Abhängigkeiten und Vereinzelung das Klima in der grünen Belegschaft. Als Spitze des Eisbergs geraten einzelne Skandale an die grün–interne Öffentlichkeit: „Unter starkem psychischen Druck“ warf eine Mitarbeiterin im Büro der Gesundheitspolitikerin Heike Wilms–Kegel jetzt das Handtuch, nachdem ihr zuletzt noch die geplante Teilnahme an der Belegschafts–Klausur als Arbeitsverweigerung ausgelegt worden sein soll. Die Abgeordnete weist die Anschuldigungen von sich, doch die Belegschaftsversammlung konstatierte „unglaubliche Vorgänge“ und kreidet dem Fraktionsvorstand mangelnde Fürsorge an. Der hatte sich zwar schon früher mit den Zuständen im Büro Wilms–Kegel befaßt, aber - wie es ein Realo–Mitarbeiter aus der Vorstands–Etage bezeichnet - aus „realpolitischer Befangenheit“ hatte die Vorstandsmehrheit gezaudert, sich mit der Angelegenheit näher zu befassen. Ein Sonderfall, aber kein Einzelfall: Im kleinen Königreich ih res Abgeordnetenbüros verfallen auch andere MdBs Arbeitgeberallüren: Da werden Redeverbote über Themen erlassen, damit konkurrierende grüne Büros nichts von den Projekten erfahren; da müssen die MitarbeiterInnen allzeit verfügbar sein, werden Probezeiten willkürlich verlängert und müssen die Angestellten hinter den MdBs herlaufen, damit die ihre Einzahlungen in den Sozialfonds der Firma leisten. Sogar Kleidervorschriften soll es geben, damit Grüne nicht wie Grüne aussehen. Während sich zu Beginn der Bonner Grünen–Ära bei der ersten Kündigungsdrohung noch die MitarbeiterInnen zum spontanen Protest versammelten, reagieren die Betroffenen heute erstaunlich eingeschüchtert auf die frühkapitalistisch anmutenden Methoden grüner Herrschaft: Statt Putz zu machen, wenden sie sich vertraulich an den Betriebsrat. Dieser berichtet von mindestens einer Beschwerde pro Tag. Außerdem hält sich in Flurgerüchten hartnäckig die Vermutung, daß nach Dienstschluß die Zimmer „gegnerischer“ MdBs und Mitarbeiter der eigenen Fraktion durchschnüffelt werden - Udo Knapp glaubt, daß das stimmt, „aber wer das von mir behauptet, bekommt eins in die Fresse“. Die Zementierung der grünen Hierarchie, wo man auf Doktortitel wieder stolz ist und manche sich das „Du“ verbitten, bekommen besonders die 100 SachbearbeiterInnen, überwiegend Frauen, zu spüren. Aber auch die wissenschaftlichen MdB–ZuarbeiterInnen leiden darunter, daß sie oft nur noch Zuträger für das Spezialgebiet oder auch den persönlichen Spleen ihres MdBs sind. Eitel wachen Abgeordnete darüber, daß die Medien nicht etwa den Mitarbeiter zitieren, zumal wenn er kompetenter ist. Ein Abgeordneter hat in seiner neunmonatigen Amtszeit jetzt schon die zweite wissenschaftliche Kraft verschlissen - die Kehrseite eines Modells, das die Position des einzelnen Parlamentariers über alles hebt und kollektive Strukturen (Arbeitskreise) entmachtet: Qualifizierte Leute gehen oder vollziehen die „innere Kündigung“, entmotiviert und mit dem Blick auf anderwärtige Stellen. Übergreifende politische Projekte wie das Anti–Diskriminierungsgesetz oder das grüne Umbauprogramm würden heute nicht mehr zustande kommen, hieß es auf einer Klausur der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen - eine fatale Feststellung angesichts der politischen Stagnation dieser Fraktion. Zwar gibt es auch heute Beispiele praktischer Solidarität wie im Büro der Abgeordneten Erika Trenz, wo sich eine wissenschaftliche und eine Sachbearbeiterin sowohl die Arbeit als auch das Gehalt teilen. Doch der Trend geht beim grünen Personal eher zum Kastendenken. Vergessen sind die Diskussionen über grünen Einheitslohn. Hitzig wird auch über die Einführung von Computern gestritten. Ob es in der grünen Belegschaft trotzdem genug gemeinsamen Unmut gibt, um die ArbeitgeberInnen und den Realo–Apparat in Vorstand und Geschäftsführung mit ihren Forderungen zu konfrontieren, werden die nächsten Wochen zeigen. Die gemeinsame Aktion könnte ein neuer Ansatz sein, Verantwortung für das festgefahrene grüne Projekt zu übernehmen. Morgen ein Hintergrundbericht über die politische Krise in der grünen Bundestagsfraktion.

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