: Strahlender Schlamm in den Wald
■ Tausend Quadratmeter sollen in Tübingen „forschungshalber“ verseucht werden / Baden–Württemberg bastelt am eigenen Tschernobyl / Bürgerinitiativen protestieren
Aus Tübingen Ulrich Janßen
Eine in jeder Hinsicht deutliche Mahnung erreichte in der vergangenen Woche den Tübinger Botanik–Professor Franz Oberwinkler. Unbekannte, vernmutlich Studenten der Biologischen Fakultät, setzten ihm einen stattlichen Misthaufen vor die Institutstür. Sie wollten ihm damit deutlich machen, was sie von der Beteiligung des Professors an einem sogenannten „radioökologischen Projekt“ halten, das vom Isotopenlabor der Tübinger Universität ins Leben gerufen wurde. Forschungshalber sollen im Schönbuch, einem großen Forstgebiet nördlich der Stadt, tausend Quadratmeter Waldfläche mit radioaktivem Klärschlamm bedeckt werden. Ziel des Versuchs ist, den Weg der Radionuklide im Boden zu verfolgen. 50.000 Becquerel, importiert aus dem oberschwäbischen Tannheim, werden zu diesem Zweck jedem Quadratmeter des umzäunten Areals zugemutet, eine nach der Tschernobyl–Katastrophe durchaus übliche Bodenbelastung. Überlegungen, „den Gang der radioaktiven Fallout–Nuklide durch die Biosphäre und Litosphäre (die Bodenlebewelt) zu verfolgen“, waren an der Tübinger Universität schon im Juni 1986 angestellt worden. 2,2 Millionen Mark machte die durch Tschernobyl verunsicherte Landesregierung für derartige Forschungen locker. Studenten der beteiligten Fakultäten bezeichneten die „vorsätzliche Kontamination eines Waldareals“ als „organisierte Verantwortungslosigkeit“. Sie fordern den Stopp der Vorbereitungen und die Offenlegung des Forschungsprogramms. Vertreter von Tübinger Bürgerinitiativen und Bürger der betroffenen Ortschaft Breitenholz kritisierten die zugrundeliegende Geisteshaltung: „Hier wird die nächste Katastrophe vorbereitet!“ Der für Breitenholz zuständige Bürgermeister versicherte seinen „lieben Mitbürgern“, daß ohne die Genehmigung des Landratsamtes und der Gemeinde kein Schlamm im Wald abgeladen wird. Die Bevölkerung stehe in dieser Sache geschlossen hinter ihm. Dem Vernehmen nach sucht der von diesem Widerstand völlig überraschte Chef des Isotopenlabors, Hans–Jürgen Reinecke, inzwischen nach einem etwas ruhigeren Plätzchen. Andere beteiligte Professoren tragen sich schon mit Rückzugsgedanken. Die Grünen Baden–Württembergs haben gestern die Landesregierung in einem Antrag aufgefordert, das „Klein Mururoa“–Projekt zu stoppen und den Klärschlamm als Sondermüll zu deklarieren und zu beseitigen.
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