Den Israelis wird die Lieblingsdroge entzogen

■ Seit sechs Wochen streiken die Radio– und Fernsehjournalisten für Lohnerhöhungen und gegen die Gängelung durch das Management / Regierung schloß kurzerhand die Stationen / Zuschauer zeigen sich überraschend gleichgültig

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Die Israelis stehen im Ruf, wie niemand sonst von Nachrichtensendungen abhängig zu sein, als seien die „news“ eine Droge, aber dennoch haben sie dem jetzt schon sechs Wochen andauernden Streik der elektronischen Medien gegenüber eine bemerkenswerte Gleichgültigkeit gezeigt. Eigentlich ist der Streik ein Lohnkampf der Fernseh– und Radiojournalisten, die ihre Gehälter auf das in den gedruckten Medien übliche Niveau heben wollen - also eine durchaus legitime Forderung. Doch zugleich ist der Streik auch Protest gegen die engstirnige politische Gängelung der Medien durch das von der herrschenden Regierungskoalition kontrollierte Management der Anstalten. Als Reaktion auf den Streik entschied die Regierung, die Stationen einfach zu schließen. Damit bleiben allein das Radio der Armee und Abie Nathan auf Sendung, der mit seinem „Stimme des Friedens“–Sender auf einem kleinen Schiff irgendwo vor der Küste Tel Avivs im Mittelmeer dümpelt. Im Fernsehen gibts nur ein morgendliches Schulprogramm und, auf dem experimentellen „Zweiten Kanal“, ein kur zes abendliches Unterhaltungsprogramm, das mehr als dürftig bleibt. Abgesehen von gelegentlichen „Blitz–Nachrichten“ des Armee–Senders gibt es weder in hebräisch, arabisch noch in anderen Sprachen Nachrichten. Radio Israel bleibt stumm. „Mabat“ (Aussicht), die abendliche Nachrichtensendung, die von kaum einer israelischen Familie ausgelassen wird, Talk– Shows und andere populäre „nationale“ Shows sind verschwunden, ohne daß es zu irgendwelchen Aufständen oder Zuschauerprotesten gekommen wäre. Die Auflagen der Zeitungen haben sich kaum erhöht, und man kann den Eindruck bekommen, die Israelis seien der zentralisierten, halboffiziellen Nachrichtenroutine einfach müde. Die meisten Leute finden offenbar, daß sie durchaus ohne die stündlichen „news–Bombardements“ leben können. Für die streikenden Fernseh– und Radiojournalisten ist das eine höchst unangenehme Überraschung: Sie hatten mit scharfen Reaktionen des Publikums gerechnet und damit einen schnellen Sieg über das Management der Anstalten erhofft. Die bekannten Figuren des Bildschirms mußten schockiert feststellen, daß ihnen ihr Ruf und ihr tägliches „Erscheinen“ auf Mattscheibe und in der Presse kaum hilft, den Kampf um Lohn und Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Eine Meinungsumfrage hat ergeben, daß zwei Drittel der Bevölkerung die Schließung der Sender begrüßt, wenn das „einer allgemeinen Durchforstung der Sender dient“. Aber wie kommen die Israelis mit der grauen Mattscheibe und dem stummen Radio zurecht? Die meisten schalten einfach um auf die benachbarten Fernsehstationen Jordaniens oder des Libanon, die mehr oder weniger die gleichen amerikanischen Unterhaltungsserien bieten wie das heimische Programm. Video–Clubs sind heiß im Geschäft und illegale Piraten–Kabelsender sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Experten schätzen, daß inzwischen über eine halbe Million Haushalte über Telefon an eine von tausend Piratenstationen angeschlossen sind, die weder Steuern noch Tantiemen zahlen. Branchen wie Antennenbauer, Video– Verleihfirmen und Kabelexperten haben Hochkonjunktur. Die Besucherzahlen der Kinos, die in den letzten Jahren stark gefallen waren, sind so hoch wie kaum zuvor. Und auch andere Unterhaltungs– Etablissements erfreuen sich einer plötzlichen Beliebtheit. Soziologen sagen einen Baby– Boom voraus, doch werden wohl erst die Statistiken des nächsten Jahres zeigen, wie falsch oder wahr diese Vorhersagen sind. Der andauernde Streik hat den Mythos abstürzen lassen, daß in Israel ein Leben ohne die von der Regierung kontrollierten Massenmedien nicht möglich sei. Paradoxerweise wird das Hauptergebnis des Streiks darin bestehen, die Expansion der amerikanisierten elektronischen Medien noch zu beschleunigen: das riesige Schwarzmarkt–Unternehmen Kabelfernsehen wird institutionalisiert werden. Der „Zweite Kanal“ des Fernsehens wird schnell aus seiner Experimentierphase herauswachsen und zu einem kommerziell orientierten Konkurrenten des „Ersten Kanals“ werden. Beide Kanäle jedoch werden von der Regierungskoalition, die den Aufsichtsrat besetzt, gleichermaßen kontrolliert. Die Regierung dürfte wohl kaum ihren festen Griff auf die politischen Inhalte der Programme lockern, denn die Massenmedien haben in Israel immer eine wichtige meinungsbildende Bedeutung für die herrschende Partei gehabt. Dennoch wird die Explosion der elektronischen Medien und die Verbreiterung des Marktes den Pluralismus in den Medien fördern, den engen Provinzialismus zurückdrängen und den Zuschauern und Zuhörern ein breiteres Angebot nicht notwendig besserer Programme anbieten - wenn der Streik einmal zuende geht.