: „Tot ist sie besser dran...“
■ In Indien schlägt die Diskussion um Witwenverbrennung wieder hohe Wellen / Die Zentralregierung will energischer gegen den barbarischen Brauch vorgehen / Fundamentalistische Muslimorganisationen pochen auf die Beibehaltung religiöser Traditionen
Von Christa Wichterich
Vor 158 Jahren ließen die Briten die Witwenverbrennung in Indien gesetzlich verbieten, und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der barbarische Brauch auch in den Familiengesetzen der Hindus unter Strafe gestellt. Doch nichtsdestotrotz läßt die Frage, ob junge Frauen ihren verstorbenen Männern auf den Scheiterhaufen folgen sollten, auch heute noch die Wogen der Erregung hoch schlagen. Erstmals seit der Unabhängigkeit wurden am Wochenende in der nordwestindischen Kleinstadt Deorala 32 Menschen unter Mordanklage gestellt, weil sie eine Witwe gezwungen haben sollen, sich gemeinsam mit ihrem toten Ehemann verbrennen zu lassen. Das Opfer der „Sati“, die 18jährige Roop Kanwar, starb am 4.September, und die Behandlung des Falles in den letzten Monaten ist ein Lehrstück für den wachsenden Hindufundamentalismus in weiten Teilen Indiens. In Deorala ist das Ereignis heute schon ein Mythos. In der Erinnerung derer, die begeistert zugeschaut hatten, wie die junge Frau nur fünfeinhalb Stunden nach dem Tod ihres Mannes bei lebendigem Leib mit ihm verbrannte, saß sie so schön und furchtlos in ihrem roten Hochzeitssari auf dem Scheiterhaufen, wie sie die Bilder zeigen, die heute an jeder Ecke in Deorale verkauft werden. Gewaltanwendung schien ausgeschlossen. Freiwillig und geleitet von „göttlicher Energie“, die - laut ihrem Schwiegervater - „von ihrer Seele Besitz ergriff“, soll die junge Roop ihre Entscheidung gefällt haben. 400.000 strömten zwölf Tage später zusammen, um das Ereignis zu feiern. Als die Landesregierung von Rajasthan daraufhin jede Beihilfe zur Witwenverbrennung unter Strafe stellte, wurde auf Massendemonstrationen gefordert, daß der Staat seine Finger aus „religiösen Traditionen“ rauszuhalten habe. Schließlich gehörten Roop und ihr wenig älterer Ehemann zu den kriegerischen Rajputs im Nordwesten Indiens, bei denen Sati früher häufig verübt wurde. Lakonisch, aber dem Zynismus der Realität angemessener, kommentierte dagegen ein anderer Dörfler aus Deorala: „Tot ist sie besser dran.“ Mit 18 hätte sie als Witwe ein Leben ohne Chancen vor sich gehabt: Wiederverheiratung ist in der Rajputen–Kultur ein Tabu. Jahrelang hätte sie das Haus der Schwiegereltern nicht verlassen dürfen, für den langen Rest ihres Lebens wäre sie, zumal sie noch keine Kinder hatte, von der ganzen Gesellschaft als Unglücksbringerin und unnütze Esserin geächtet worden. Ihre vermeintlich „freie Entscheidung“ wurde durch die Tatsache aufgewertet, daß sie eine gute Schulausbildung hatte und ihre Familie wie auch die Schwiegereltern gebildet sind und keineswegs als „unmodern“ galten. Ihr Schwiegervater ist Dorfschullehrer in Deorala, ihr Vater Fuhrunternehmer in der drei Stunden entfernten Millionenstadt Jaipur. Auch Deorala ist kein abgelegenes Kaff, sondern ist elektrifiziert, hat sieben Schulen und eine Gesundheitsstation. Doch das größte Geschäft, das das Dorf je zu verbuchen hatte, folgte auf die Verbrennung von Roop Kanwar. In den Sträßchen um den Scheiterhaufen schoß ein quirliger Bazar aus dem Boden, wo Sati–Souvenirs, Süßigkeiten und Krimskram verkauft werden. Das Zimmer, wo Roop und ihr Mann ihre kurze Ehe verlebten, verwandelte sich in Windeseile in ein Museum. Die Transportunternehmen der Gegend können den Ansturm der Pilger kaum bewältigen: bis zu 10.000 kommen auch heute noch jeden Tag. Die Mitgift, die Roop bei der Hochzeit einbrachte, Schmuck, Radio, Fernsehen, Kühlschränke, Ventilatoren, bleibt im Besitz der Schwiegereltern. So hat die junge Frau mit ihrem Selbstmord ihrer Familie und dem Dorf wahrhaft einen Gefallen getan. Eine engagierte Frau aus Deorala kommentierte das Dilemma: „Eigentlich steht eine Witwe vor der Frage, ob sie Selbstmord auf dem Scheiterhaufen ihres Mannes oder erst zu einem späteren Zeitpunkt begehen soll.“ Die „Sati“ bringt ihr Ehre und den Ihren bare Münze. Auch bei anderen Witwenverbrennungen der lezten Jahre schlug die Kommerzialisierung voll durch. Die Tageszeitung Hindu berichtete gerade, daß Rajputs eine soeben verwitwete Frau mit dem Argument zur Selbstverbrennung überreden wollten: „Wir hatten noch keine Sati in unserem Dorf.“ Die Regierung des Bundesstaates Rajasthan gab derartigen Kalkülen zunächst Rückendeckung: Sie glänzte durch Unentschlossenheit, bezeichnete das Ereignis als eine „rein religiöse Angelegenheit“ und griff nicht einmal durch, als Frauengruppen eine Anweisung des Obersten Gerichtshofs erwirkten, daß alle Zeremonien vor Ort, die das Ereignis feiern, zu unterbinden seien. So strömten denn am 16.September Hunderttausende, einschließlich bekannter Mitglieder der führenden Parteien, nach Deorala, um das Ereignis und die neue Göttin zu bejubeln. Erst am 18.September begann die Regierung von Rajasthan, Beteiligte zu verhaften. Innenminister Buta Singh kündigte Anfang Oktober eine drastische Bestrafung jeder Beihilfe oder Verherrlichung von „Sati“ an. Seither heizen Führer nicht nur der hindu–konservativen Partei BJP, sondern auch der eher liberal konservativen Janata–Partei die Stimmung unter aufgebrachten Rajputs an: die Regierung unternähme nichts gegen die ebenfalls gesetzlich verbotene Kinderheirat, gegen Mädchentötung und das Mitgiftsystem, sie benutze die Verfolgung der „Sati“ lediglich, um die Rajputs in die Enge zu treiben. Es handele sich um einen „ganz normalen Selbstmord“, denn schließlich seien in Rajasthan seit der Unabhängigkeit 26 Witwenverbrennungen bekannt geworden und keine sei bisher verfolgt worden. Eine der höchsten Hindu–Priester Nordindiens bezeichnete die Strafandrohung gar als „große Beleidigung für die Demokratie“. Schon drohen die Rajputs, sich von der übrigen Hindu–Gemeinde abzuwenden, so wie die Sikhs es taten. Roop Kanwar soll ihren Tempel, und Deorala weiterhin Pilger und Souvernir–Käufer bekommen; bereits 600.000 DM sind für den Tempel gesammelt, überwiegend von den Bauern Rajasthans. In einem Dorf begannen Rajputs bereits eine Gedenkstätte für Roop Kanwar zu erichten. In Deorala wird der Scheiterhaufen von jungen Rajputen mit Schwerten bewacht. Gerade zur rechten Zeit wurde da am Wochenende der polizeiliche Ermittlungsbericht über die „Freiwilligkeit“ von Roop Kanwars Tod bekannt, der die Behörden jetzt zur Anklageerhebung veranlaßte: Nachdem ihr Schwager das Holz in Brand gesetzt hatte, habe die junge Frau noch zweimal versucht, aufzustehen und das Feuer zu löschen. Verwandte hätten daraufhin eine große Menge Holz über sie gestapelt, was ihr eine Flucht unmöglich gemacht habe. Angesichts derartiger Bräuche probiert die Landesregierung des Staates Rajastan jetzt neue Anreize aus: Um die Wieder–Verheiratung verwitweter Frauen attraktiver zu machen, lockt das Sozialministerium Interessenten jetzt mit einer Geldprämie: Wer bereit ist, eine Witwe zu ehelichen, erhält vom 5.000 Rupien, ca. 700 Mark. Allzu großes Vertrauen in die Aktion „Witwen–Heirat“ scheint die Staatsregierung in Haryana jedoch nicht zu haben. Nach einem Bericht der Tageszeitung Indian Express vom Samstag wurden für diesen Zweck im laufenden Haushalt ganze 50.000 Rupien bereitgestellt: gerade genug für zehn Frauen. Unklar ist außerdem, wie die Regierung verhindern will, daß die Witwen ausschließlich wegen des Geldes geheiratet und später wieder verstoßen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen