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Der vierte Elbtunnel oder die grüne Identität

■ Wie man durch Stimmenthaltung Radikalität beweist / Ein Konflikt in der Altonaer GAL oder: Können die Grünen durch Erfolge lernen

Von Klaus Hartung

Es geht nicht um die vierte Elbtunnelröhre, sie hat nur etwas damit zu tun: Heute abend muß die Mitgliederversammlung der GAL entscheiden, ob drei Bezirksabgeordnete gerügt werden, weil sie sich bei einem GAL–Antrag der Stimme enthalten haben. Ein Lokalkonflikt? Nun, Thema ist auch, ob „grüne Identität“ wichtiger ist als Bündnisfähigkeit, ob das Parlament dazu da ist, radikale Positionen darzustellen. Und nebenbei geht es darum, ob einer der Gründer der Altonaer GAL in dieser Partei noch Zukunft sieht. Martin Schmidt - 55 Jahre, Vater von zwei Kindern, Mitarbeiter des „Tesaurus linguae graecae“, ein Lexikon–Projekt des frühgriechischen Epos, das nach 37 Jahren bis zum Buchstaben „kappa“ vorgedrungen ist, und Mitglied des Altonaer Verkehrsausschusses sieht - sich in einer paradoxen Lage. „Nach dem bisher größten Erfolg der GAL in Altonaer Bezirkspolitik seit 1982“ ( Schmidt) hat er eigentlich alle Hoffnung verloren. Die Geschichte begann im Sommer dieses Jahres: zum Hamburger Alltag, zumindest zum Autofahreralltag, gehören die Radiodurchsagen über Stau oder Nichtstau im Elbtunnel. Die Baubehörde legte das Projekt einer vierten Elbtunnel–Röhre vor. Erster Spatenstich schon im November 1988. Höchste Dringlichkeitsstufe im Bundesverkehrswegeplan.lan. Kostenpunkt zwischen 400 und 500 Millionen Mark. Die Planfeststellungsunterlagen sprechen von einem „äußerst kritischen Engpaß“ und sehen ganz Hamburg von „einer Lähmung der wirtschaftlichen Entfaltung“ bedroht. Argumente, auf die die sozialdemokratische Betonfraktion mit einem bedingten Zustimmungsreflex reagiert. Die AltonaerGAL begann im Juni mit der Kampagne. Ein erstes Flugblatt mit 10.000 Auflage wurde verteilt. Argumente: es sei eine Planung in „bewährter Ignoranz“, ein „Teufelskreis“; die vierte Röhre würde alsbald eine Fünfte notwendig machen, denn sie würde den Pendlerstrom aus dem südelbischen Raum anziehen, der wiederum neue Staus mit sich bringen würde. Wohngebiete an den Ausfahrten in den Stadtteilen Ottensen und Bahrenfeld würden von einer Autolawine überollt, Wohnstraßen müßten dem Verkehr geopfert werden. Die Verkehrsbetriebe überdies hätten einen erheblichen Einnahmeverlust. Mit der Kampagne ergab sich die klassische Situation, daß einer endlosen Kette guter Gegenargumente die Bauwut der Behörde gegenüberstand. Normalerweise siegt dann der Baufilz. Im Oktober sahen sich jedoch die Bezirksparlamentarier gezwungen, dem Antrag einer offiziellen „Bürgeranhörung“ nachzugeben. Eine Rolle spielte sicherlich, daß der GAlier Schmidt, Bezirksabgeordneter von 1982 bis 85, in Verkehrsfragen des Stadtteils eine überparteiliche Autorität darstellt. Auf der Anhörung am 27.Oktober brachen die Experten der Baubehörde vollkommen ein. Unter anhaltenden Beifall kam der Verkehrsexperte Winfried Wolf zum Schluß, das Projekt folge „dem Prinzip: mehr Straßen - mehr Verkehr - mehr Lärm und mehr Abgase und mehr Verkehrsopfer - neue Staus und somit neue Straßen.“ Das Gutachten der Planfestellung sei rechtlich nicht haltbar, weil es keine Alternativen erörtere. Nach der „Bürgeranhörung“ signalisierten die Parteien schon Umdenken - auf Bezirksebene. Zwei Tage später tagte die AltonaerBezirksversammlung. Ergebnis: Alle Parteien stimmten gegen die Pläne der Baubehörde. Selbst die GAL war von dem abrupten Sinneswandel überrascht (vgl. Berichte in der Hamburger– Taz vom 19. und 31.10 von Katharina Kramer). „Noch vor einigen Tagen wäre ein solcher Beschluß undenkbar gewesen“ (GAL–Abgeordneter Peter Schwanewilms). Der Grund: „Was die Baubehörde uns da (bei der Anhörung) bot, war eine einzige Unverschämtheit“ (FDP–Abgeordnete Gisela Surmann); „den Vertretern der Baubehörde muß man jede Fachkompetenz absprechen“ (Uwe Szczesny CDU). Wie gesagt, es gab bei der Abstimmung keine einzige Ja–Stimme für das Projekt. Aber: zu aller Überraschung gab es drei Enthaltungen, und zwar bei den vier GAL–Abgeordneten. Die Abgeordneten Hofmann, Wuttke und Schwanewilms rechtfertigten ihre Enthaltung gegenüber ihrem eigenen Antrag (!) damit: „Als wir unseren Antrag formulierten, konnten wir ja nicht wissen, daß die anderen Parteien einen so drastischen Kurswechsel vornehmen.“ Für diese eigenwillige Interpretation des Kampfes um Mehrheitsfähigkeit formulierten sie einen wahrhaft goldenen Satz: „Wir wollten mit unse rer Enthaltung unsere radikale Ablehnung der Röhre deutlich machen.“ Radikalität durch Enthaltung. Unmittelbarer Grund für dieses Verhalten war, daß die SPD–Abgeordneten, die vohrher zur vierten Elbtunnelröhre den Mund nicht aufkriegten, plötzlich sich als radikale Ablehner profilierten und die „Einstellung“ des Planfeststellungsverfahrens statt der „Aufschiebung“ (GAL–Antrag) forderten. Nach Lage der Dinge kann es aber, unabhängig von der Wortwahl, nur um eine Aufschiebung gehen. Aber die SPD konnte verbal der GAL vorhalten, ihr Antrag sei zu kompromißlerisch. Damit stand für die drei Abgeordneten die „grüne Identität“ auf dem Spiel. Interessanterweise genügt offenbar eine durchsichtige SPD–Polemik, um GAL–Mitglieder, die nichts lieber tun, als die SPD zu entlarven, vollständig zu verunsichern. Martin Schlange von der Umweltakademie stellte bestürzt fest, daß die drei Enthaltungen die Wirkungskraft des Beschlusses gegenüber dem Hamburger Senat schwächen können, denn in Hamburg haben die Bezirksparlamente bei Entscheidungen der städtischen Behörden wenig zu sagen. So bleibt der moralische Druck. Mit diesen Enthaltungen ist nun aus einem politischen Erfolg der GAL ein Grundsatzkonflikt geworden. Martin Schmidt will, daß die Mitgliederversammlung des Kreisverbandes Altona dieses Abstimmungsverhalten „als falsch“ ablehnt. Jetzt liegen umfangreiche Rechtfertigungs– und Kritikpapiere vor. Die drei Helden/ innen der Enthaltung erklären mehr oder weniger gewunden, sie seien gar nicht gegen kleine Schritte. Aber die GAL müsse die „Begrenzheit der Positionsveränderung“ der „etablierten“ Parteien dokumentieren, die ja in Wahrheit immer noch für den Bau der Röhre seien. In dem „taktischen Antrag“ der GAL verberge sich „die Zurücknahme einer klaren Oppositionshaltung.“ Ja, manche Galier sprechen davon,das eindeutige Votum der Bezirksversammlung sei „eigentlich“ ein Erfolg der SPD. Martin Schmidt sieht Grundsätzliches: das Verhalten und die Begründungen seien „klassisches Sektierertum“, Bestätigung, daß die „Grünen politikunfähig sind.“ Wer den Kampf um Mehrheiten als „Schere im Kopf“, „Schielen nach Mehrheiten“, „Verzicht auf grundsätzliche Kritik“ denunziere, der verzichte endgültig auf „Bündnisfähigkeit“ und auf den „Kampf um Hegemonie“. Olaf Wuttke, einer der Helden der Enthaltung, Gymnasiallehrer, versteht im Grunde diese Kritik nicht. „Die Geschlossenheit wird durch dieses Abstimmungsverhalten gar nicht gefährdet“. Aber er sieht Parallelen zur Grünen Fraktion in Bonn. Ein Martin Schmidt unternähme einen „ähnlichen Versuch wie in Bonn, um Positionen auszugrenzen.“ Für ihn sei die Frage, „dürfen Grundsatzanträge überhaupt noch gestellt werden?“ „Realo/Fundi“–Spaltung auch in Altona also? Für Martin Schmidt geht es nicht um Linienstreit. Er ist resigniert. Seit den sechziger Jahren arbeitet er in der „neuen Linken“, vom Berliner „republikanischen Club“ bis zur GAL. Nach der Wahlniederlage der GAL meint er: „Eine Partei, die weder durch Mißerfolg noch durch Erfolg lernt, ist am Ende.“

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