: Bruchlandung für Volkszähler
■ Gericht in Sigmaringen hat schwere Bedenken gegen Löschungspraktiken in Baden–Württemberg
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat in mehreren gestern veröffentlichten Entscheidungen rund 1.000 Volkszählungsgegnern aus dem Raum Reutlingen, Ulm und dem Regierungsbezirk Tübingen recht gegeben. In einem Eilverfahren gaben die Richter der ersten, fünften und sechsten Kammer des Gerichts den Anträgen der Boykotteure auf aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs statt und erklärten Zwangsmaßnahmen für „mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig“. Aufsehenerregend an diesen Gerichtsbeschlüssen ist nicht nur, daß jetzt diese 1.000 Boykotteure von der Volkszählung verschont bleiben und demnächst wohl auch Volkszählungsgegner aus der Boykotthochburg Tübingen–Stadt mit einem Erfolg vor dem Sigmaringer Verwaltungsgericht rechnen können. Entscheidend ist, daß die Sigmaringer Richter die derzeit praktizitierte Durchführung der Volkszählung in Baden–Württemberg grundsätzlich für rechtlich anfechtbar halten. Fortsetzung auf Seite 2 Stein des Anstoßes ist für die Verwaltungsrichter der Zeitpunkt, zu dem in Baden–Württemberg die Volkszählungsdaten gelöscht werden sollen. Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts hatte das Statistische Landesamt mehrfach mitgeteilt, daß beabsichtigt sei, alle Daten erst zwei Wochen nach Feststellung der amtlichen Bevölkerungszahl zu löschen. Das würde in Baden–Württemberg erst 1989 sein. Früher, so hatten die Statistiker argumentiert, sei eine Löschung nicht angebracht, da möglicherweise etliche Gemeinden die Angaben über ihre Bevölkerungszahl gerichtlich anzweifeln könnten, um eine höhere Steuerzumessung zu erwirken. Das jedoch, so argumentierten jetzt die Sigmaringer Richter, gehe nicht mit rechten Dingen zu. Der Paragraph 15 des Volkszählungsgesetzes schreibe vor, daß die personenbezogenen Daten zum „frühest möglichen Zeitpunkt“ vernichtet werden müssen, spätestens jedoch 14 Tage nach Feststellung der amtlichen Bevölkerungszahl. Diese Vorschrift erlaube jedoch nicht, wie es das Statistische Landesamt nun plane, den letzten gesetzlich möglichen Zeitpunkt auszuschöpfen. Im Klartext: Gelöscht werden muß so früh wie möglich und nicht so spät wie erlaubt. Der Zeitpunkt der frühest möglichen Löschung der Daten, so meinten die Richter, sei nach einer Rücklauf– und Plausibilitätskontrolle in den Erhebungsstellen gegeben und nicht erst 1989. Das Argument des Statistischen Landesamtes, man müsse die Volkszählungsbögen für etwaige Rechtsstreitigkeiten der Gemeinden um ihre Einwohnerzahl aufbewahren, sei überdies hinfällig, denn personenbezogene Daten dürften aus Gründen des Statistikgeheimnisses niemals für solche Rechtsstreitigkeiten benutzt werden. Die Sigmaringer Richter sahen sich in ihrer Rechtsauffassung durch Stellungnahmen der baden– württembergischen Datenschutzbeauftragten Ruth Leuze bestätigt, die diese Praxis des Statistischen Landesamtes ebenfalls gerügt hatte. Auch das Bundesverfassungsgericht, das wurde anläßlich der Sigmaringer Entscheidungen bekannt, scheint sich für die umstrittene Baden–Württemberger Praxis dringend zu interessieren und hat bereits eine Stellungnahme angefordert. Für Spannung ist also gesorgt und Süd– württemberger Volkszählungsgegner haben bis zur nächsthöheren Gerichts–Instanz erst einmal Ruhe. (AZ: Z 6 K 1136/87 u.a.)
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