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Auf der Suche nach der grünen Utopie

■ Aufmarsch der Landesverbände gegen das „Affentheater in Bonn“ / Von Klaus Wolschner

Zu einem informellen „kleinen Parteitag“ reisten am vergangenen Samstag rund 300 Grüne in Bonn an und hielten „Krisengipfel“. Bundestagsfraktion und Bundesvorstand, die seit Monaten in heftiger, medienträchtiger Fehde liegen, sollten sich der Diskussion mit Vertretern der elf Landesverbände stellen. Das Votum der angereisten Basis wie der mittleren Funktionärs–Ebene war eindeutig: Der Streit muß aufhören. Umstritten blieb dennoch das Verhältnis der Partei zu militanten Gruppen.

In dem überfüllten Saal des Kabarett–Theaters Pantheon am Bonner Bundeskanzlerplatz wurden zu Beginn des Stückes Valium– Tabletten verteilt: Anstelle der erhitzten Strömungsdebatten hatten die aus den Bundesländern angereisten Grünen ihren Bonner Strömungs–“Promis“ Zurückhaltung verordnet. Martin Staeg aus dem erdverwachsenen Niedersachsen begann den Reigen der Ordnungsrufe mit der Feststellung, an der Basis gebe es massiv Mitgliederaustritte, Kreisverbandssitzungen würden vielerorts „so gut wie gar nicht stattfinden“. Das Medien–Bild, das Bundesvorstand und Fraktion abgäben, trage am desolaten Zustand der Partei „entscheidende Mitverantwortung“ - das gelte selbstverständlich für „beide Seiten“ der Fundi–Realo– Schlachtordnung. Eine Basis– Frau trug beinahe unter Tränen Wolf Biermanns „Du, laß Dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit...“ vor. Der Bremer Vorstandssprecher Klaus Adam sah die Mitglieder zu „Zuschauern degradiert“ und forderte eine Mitte, die die „Auflösung der Flügel mitdenkt“. Das „Affentheater aus Bonn“ störe, darauf wies eine Baden– Württembergerin hin, die Grünen vor Ort auch angesichts bevorstehender Wahlkämpfe. Michael Merkel berichtete aus dem „desolatesten Landesverband der Grünen“, nämlich Nordrhein–Westfalen, daß die Polarisierung „in eine schlecht gerüstete Basis getragen“ würde, und schlug einen „Nichtangriffspakt“ bis zum geplanten Strategiekongreß im Mai 1988 vor. Für diesen Perspektiven–Kongreß, das beklagte Bundesvorständler Christian Schmitt, fehle es allerdings noch an vorbereitenden Diskussionsbeiträgen von der Basis. Gewaltdebatte Schon im März, so forderten verschiedene RednerInnen, solle der gesamte Bundesvorstand zurücktreten und sich - wie der Fraktionsvorstand im Januar - personell erneuern. An der Gewaltfrage hatte sich in der letzten Woche der Streit inner halb der Grünen wieder hochgeschaukelt. Auf einer Fraktionsklausur hatte Otto Schily auch für die eigenen Realo–Anhänger überraschend eine Erklärung aus der Tasche gezogen, die unter dem Stichwort „Generalamnestie“ nach dem vergangenen Streit einen Burgfrieden versprach. Vom Verlauf dieser Fraktionssitzung, so hatte Schily im internen Kreise gedroht, wolle er seinen Verbleib in der grünen Fraktion abhängig machen. Seine Austrittsdrohung hatte die Bonner tagelang in Bewegung gehalten. Unter Punkt vier des Schily–Textes stand dann jener Satz, der wieder Öl ins Feuer goß: „Die Fraktion lehnt ausdrücklich Bündnisse und eine Zusammenarbeit mit Gruppierungen, die militante Aktionsformen praktizieren, ab.“ Die Bundestagsfraktion der Grünen war da nie in Versuchung gewesen, die Klarstellung hatte eher symbolischen Wert, der die „Ökosozialisten“ in Rage brachte. Als der Bremer Klaus Adam auf dem „Krisengipfel“ feststellte, auch in der Partei habe es „nie ein Bündnis mit militanten Gruppen gegeben“, erntete er heftigen Widerspruch. Michael Wunder aus Hamburg widersprach und trug die „Hamburger“ Interpretation der jüngsten Ereignisse um die Hafenstraße vor: Die kalkulierte Drohung mit Gewalt habe mit zu dem Verhandlungserfolg beigetragen. Thomas Ebermann erinnerte daran, daß Gewaltfreiheit zunächst die Ablehnung der Militär–Etats und der NATO, der Polizeiausrüstung sowie von Psychiatrien und Knästen bedeute. Selbstverständlich werbe man für den Weg der Gewaltfreiheit in Aktionsbündnissen, aber eine Ausgrenzungsdefinition könne man nicht akzeptieren. Peter Sellin, Berliner MdB, trug der Versammlung den Formulierungsvorschlag vor, der auf der Fraktionsklausur der Enthaltung der „Fundis“ und der Ablehnung der „Realos“ zum Opfer gefallen war: „Die politische Auseinandersetzung mit militanten Gruppen im Rahmen der außerparlamentarischen Bewegung ist so zu führen“, heißt es da, „daß aktive Minderheiten, die bereit sind, andere als gewaltfreie Methoden des politischen Widerstandes einzusetzen, nicht in der Lage sein dürfen, aktive Mehrheiten politisch zu dominieren. Es gibt von seiten der Grünen keine Toleranz gegenpüber Demonstranten mit Zwillen, Molotow–Cocktails und Steinen.“ Genau dies, so Waltraud Schoppe wie Otto Schily im „Pantheon“, hätten sie gemeint. Ein Formel–Kompromiß in Sachen Gewaltfreiheit, der an der Basis Interpretationsspielraum für Aktionsbündnisse läßt, deu tete sich an. Um so heftiger wurde Waltraud Schoppe wegen einer suggestiven Frage in ihrer Rede zur Gewaltfreiheit (“Da frage ich Euch, seid Ihr dagegen?“) angefeindet. Auch Jutta Ditfurth, die das böse Stichwort des „innerparteilichen Radikalenerlasses“ wieder aufbrachte, wurde mehrfach unterbrochen, insbesondere als sie meinte, wer sich zum „staatlichen Gewaltmonopol“ bekenne, gebe damit denen eine „Generalermächtigung“, die das Gewaltpotential der „polizeilichen Ausrüstung“ hochschrauben wollten. Wer sich auf dem grünen Krisen gipfel gegen Polemik und Unterstellungen wehrte, hatten in der Regel die Mehrheit im Saal auf seiner Seite. Grüne Utopie? Ohne besonderen Beifall blieben derweil die vorsichtigen Versuche, das Dilemma einer grünen Strategie zu formulieren. Sowohl das Modell Hessen (Regierungskoalition mit der SPD) sei gescheitert, erklärte eine Rednerin, als auch das Modell Hamburg (die prinzipielle Opposition mit „Minimalforderungen“), das die SPD in die Koalition mit der FDP und die rot–grünen Wähler zurück zur SPD treibe. Bei aller notwendigen Tagespolitik dürfe man die Utopie „nicht aus den Augen verlieren“. Die tagtägliche grüne Reform–Politik sei ein Puzzle, meinte der Radikalökologe Manfred Zieran. Zwischen den Interessen von Mensch und Natur und dem bestehenden Gesellschaftssystem gebe es einen „antagonistischen Widerspruch“. Die Diskussion soll, darin waren sich die Landesverbände einig, an die Basis getragen werden. Antje Vollmer ist überzeugt von der Idee, ein „Manifest“ unter dem Motto „Grüner Aufbruch 88“ breit zu debattieren. Über eine Urabstimmung durch die Mitgliedschaft könne die Partei zu einem neuen Bezugspunkt fürs grüne Selbstverständnis kommen. Die Versammlung endete ohne Resolution. Während Mitglieder von Fraktion und Bundesvorstand nur als StrömungsvertreterInnen auftraten, hüteten die elf Landesvorstände die „Gesamtinteressen“ der Grünen. Dieses in der Satzung nicht vorgesehene, aber gewichtige Gremium Bundeshauptausschuß verabschiedete eine Erklärung, in der „jeglichen Spekulationen über eine Spaltung der Partei entgegengetreten“ wird. Auf dem Perspektiven–Kongreß im Mai 1988 soll die grüne Partei ein Verfahren finden, um ihr „Verhältnis zwischen notwendiger radikaler Veränderung der Gesellschaft und ihrer realen Durchsetzbarkeit“ zu klären.

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