Spekulationen um Sowjet–Hilfe für Nicaragua

■ Abgesprungener Mitarbeiter des nicaraguanischen Verteidigungsministers packte über angebliche Aufrüstungspläne Managuas aus / Präsident Ortega dementiert Äußerungen seines Bruders / Gorbatschow–Angebot zu Nicaragua am Rande des Washingtoner Gipfels

Managua/Washington/Berlin (wps/afp/taz) - Ob die USA in Nicaragua militärisch eingreifen würden, falls die sandinistische Regierung Abfangjäger vom Typ MIG anschaffe, wollte der neue Sicherheitsberater des Weißen Hauses nicht beantworten. Doch Generalleutnant Colin Powell warnte die Sowjetunion und Nicaragua eindringlich, modernstes sowjetisches Kriegsmaterial in dem mittelamerikanischen Land zu stationieren. Am Vortag hatte Verteidigungsminister Humberto Ortega auf einer Gewerkschaftsversammlung in Managua betont, Nicaragua werde seine Truppen auf eine Mannschaftsstärke von 600.000 Soldaten aufstocken, also mehr als verdoppeln, und Abfangjäger, moderne Luftabwehrwaffen und Radaranlagen anschaffen. In den USA erregte die Rede ungewöhnliches Aufsehen, so daß sich der Bruder des Verteidi gungsministers, Präsident Daniel Ortega, genötigt sah, die Wogen zu glätten. In einem Interview mit der Washington Post erklärte er: „Dieses Projekt existiert nicht. Es handelt sich um einen Vorschlag der Armee, der von der Regierung jedoch noch nicht angenommen ist. Wir haben daran gedacht, die Bevölkerung in der Handhabung der Waffen zu unterrichten, damit sie das Land verteidigen kann. Aber die Mobilisierung einer Armee von 600.000 Mann ist nicht geplant. Das wäre auch nicht zu rechtfertigen und würde unsere Mittel übersteigen.“ Vermutlich stehen die aufsehenerregenden Aussagen von Verteidigungsminister Humberto Ortega in einem direkten Zusammenhang mit den Enthüllungen von Majior Roger Miranda, seines Adjutanten und persönlichen Vertrauten, der sich am 24. Oktober über Mexiko in die USA abgesetzt hatte. Miranda hatte der CIA ein 44 Seiten umfassendes Papier seines früheren Chefs überreicht, das eine Aufrüstung in zwei Stufen vorsieht. Bis Ende 1990 sollen danach die Streitkräfte von 250.000 auf 370.000 Mann zunehmen,sowie von den Sowjets Waffen und Ausrüstungsgegenstände erhalten. In der zweiten Phase sollen dem Papier zufolge dann zwölf Abfangjäger vom Typ MIG 21 B, Kampfhubschrauber und Panzer angeschafft werden. Weshalb die US–Regierung die Enthüllungen von Humberto Ortegas Vertrauten fast zwei Monate zurückhielt, ist unklar. Möglicherweise sollten sie als Argument für die nun anstehende neue Diskussion über eine Contra– Hilfe aufgespart werden. Oder sollte man die Gipfel–Gespräche in Washington zwischen Gorbatschow und Reagan nicht belasten? Dem Sprecher des Repräsentantenhauses, Jim Wright, zufolge hatte nämlich der sowjetische Par teichef dem US–Präsidenten - am Rande der Gespräche und erfolglos - eine Reduzierung der Waffenhilfe für Nicaragua angeboten, falls sich die USA zu einer Reduzierung der Contra–Hilfe bereit erklären. Eine dritte Interpretation bietet die Washington Post. Der US– Geheimdienst habe dem abgesprungenen Nicaraguaner, der sich bei den Verhören in Widersprüche verwickelt habe und zudem beim Test am Lügendetektor durchgefallen sei, einfach nicht geglaubt, bis dann der nicaraguanische Verteidigungsminister bei seiner Rede vor den Gewerkschaftern in etwa dasselbe gesagt habe. Miranda, der im chilenischen MIR (“Bewegung der Revolutionären Linken“), dann in der trotzkistischen PRT Mexikos gekämpft hat, bevor er sich dann den Sandinisten anschloß, wußte im übrigen noch mehr auszupacken. So behauptete er z.B., auf Humberto Ortegas Schweizer Nummernkonto lägen 1.494.596 Dollar, und Innenminister Tomas Borge sei in den Rauschgifthandel verwickelt. Letzteres hatte bereits die US–Rauschgiftfahndungsbehörde DEA behauptet - im übrigen just zu Zeiten, als die Beziehungen zwischen Contra und Rauschgiftmafia publik wurden. thos