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Die wundersame Faßvermehrung

■ Jede Menge Fässer mit radioaktivem Abfall sollen über die Bundesrepublik verteilt sein / Umweltminister Töpfer grübelt über ein einzelnes Faß in Hessen / Belgien nimmt Fässer mit Plutonium und Kobalt zurück

Aus Bonn Oliver Tolmein

Nach neuesten Erkenntnissen des Bundesumweltministeriums sollen 1758 Fässer mit angeblich schwach radioaktivem Abfall aus Belgien in die BRD zurückverschoben worden sein. Die Hanauer Staatsanwaltschaft ging gestern zum gleichen Zeitpunkt noch von 1.089 Fässern aus. Töpfer informierte die Presse, daß 632 Fässer in Baden–Württemberg gelagert seien, 444 in Bayern, 565 in Niedersachsen, 346 in Nordrheinwestfalen, 71 in Schleswig–Holstein und eines in Hessen. „Dieses eine Faß macht mich auch nachdenklich“ sagte Töpfer, weil es ungewöhnlich sei, daß ein einzelnes Faß geliefert werde. Töpfer, der „rückhaltlose Aufklärung“ zusagte, hat jetzt die Firma Treuarbeit mit einer Gesamtrevision des technischen und kaufmänni schen Bereiches der Transnuklear beauftragt. Die Überprüfungsarbeiten sollen unmittelbar beginnen. Außerdem will der Bundesumweltminister allen „wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Hinweisen“ auf weitere illegale Aktivitäten nachgehen. Insbesondere soll überprüft werden, ob Mitte der Achtziger spaltbares Material, das bei Störfällen angefallen ist, illegal nach Belgien transportiert wurde. In dieser Sache soll die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) sämtliche meldepflichtigen Vorgänge in Siedewasserreaktoren seit 1984 überprüfen. Dabei soll festgestellt werden, ob Störfälle nicht ordnungsgemäß gemeldet wurden. Außerdem hat Töpfer die hessische Aufsichtsbehörde angewiesen zu überprüfen, ob und welche Atomtransporte die in der BRD sitzende Tochtergesellschaft der Transnuklear durchgeführt hat. Dieser Vorgang berücksichtigt allerdings nicht mögliche Transporte der anderen Transnukleartochtergesellschaften, die ihren Sitz im Ausland haben. Töpfer, der unterdessen auch telefonischen Kontakt mit dem belgischen Energieminister hatte, berichtete, daß Belgien bereit sei, die 321 Fässer, in denen auf jeden Fall Plutonium und Kobalt enthalten ist, zurückzunehmen. Voraussetzung dafür sei allerdings, daß 600 Kubikmeter radioaktiver Abfälle, die in den letzten Jahren aus der BRD nach Belgien geliefert wurden, zurück in die BRD kommen. Darüber, so Töpfer, werde weiter verhandelt. Die SPD hat unterdessen den Bundesumweltminister ultimativ aufgefordert, die „wunderbare Faßvermehrung“ und ihre Begleitumstände bis Mitte Januar aufzuklären. Ansonsten werde die SPD die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses fordern. Töpfer reagierte darauf unwirsch: Er werde die notwendige Arbeit nicht von vorgegebenen Terminen abhängig machen. Der SPD–Umweltexperte Schäfer forderte Töpfer zusätzlich auf zu veranlassen, daß der Transnuklear umgehend die Transportgenehmigung entzogen werde. Bisher hat das Umweltministerium lediglich veranlaßt, daß Transnuklear von vorhandenen Beförderungsgenhmigungen vorläufig keinen Gebrauch mehr machen darf. Mittlerweile haben sich auch die Betreiber von AKWs zu Wort gemeldet: Sie seien „bestürzt und empört über die Vertauschung radioaktiver Abfälle in Belgien“ und wollen gerne in enger Zusammenarbeit mit den Behörden bei der Aufklärung mitwirken.

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