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Semantik

■ Israelische Politik und die deutsche Sprache

Zweifellos: Aus den besetzten Gebieten, dem Gaza- Streifen, werden Palästinenser „deportiert“. Deportation kommt vom lateinischen deportare, heißt wegbringen, steht im Brockhaus. Im Englischen wird deportation selbstverständlich verwendet, so auch im offiziellen Sprachgebrauch in Israel. Es verwundert also nicht, daß Agenturen und deutsche Zeitungen diesen Begriff jetzt im Zusammenhang mit der von Israel angeordneten „deportation“ von bisher neun Palästinensern aus dem Gaza-Streifen einfach in die deutsche Sprache übernehmen. Schließlich handelt es sich in der Tat um nichts anderes als die zwangsweise Verschickung von einzelnen vermeintlichen „Rädelsführern“ oder (zumindest ist das angedroht worden) von ganzen Gruppen aus den angestammten Siedlungsgebieten ihres Volkes – in diesem Fall durch die Besatzer: Israel.

Trotzdem, der Begriff hat im deutschen Srachgebrauch seit den Nazis eindeutig eine andere Bedeutung. Deportation meint seit der Nazizeit die Transporte der Juden in die Vernichtungslager von Auschwitz und Treblinka. Wenn heute in deutschen Zeitungen teilweise sogar in Überschriften von Deportation im Zusammenhang mit dem Vorgehen der israelischen Regierung gegen Palästinenser gesprochen wird, dann stellen sich zwei Fragen. Können wir den Begriff in der deutschen Sprache heute so verwenden, als wären Deportationen nicht in Deutschland auf immer verknüpft mit Völkermord an sechs Millionen Juden? Können wir also diesen historisch so aufgeladenen Begriff einfach auch für die zwangsweise Ausweisung und Vertreibung von Palästinensern aus dem Gaza- Streifen verwenden? Zum zweiten: In anderen Zusammenhängen, in denen er von seiner Bedeutung her zutreffend wäre, benutzen wir ihn nicht. Nie wären wir auf die Idee gekommen – um ein Beispiel zu nennen –, die zwangsweise „Abschiebung“ von Roland Jahn in einem geschlossenen Zugabteil aus der DDR nach Westdeutschland als „Deportation“ zu bezeichnen. Selbstverständlich sprachen wir von zwangsweiser „Ausbürgerung“, nennen die Abschiebung von Basken aus Frankreich „Ausweisung“. Sollten wir diese israelische Politik gegenüber den Palästinensern, die hier keinesfalls gerechtfertigt oder verharmlost werden soll, nicht auch lieber anders bezeichnen? Max Thomas Mehr

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