: Dateiterror gegen Volkszählungsgegner
Maßlose Überreaktion und Nötigung der Bürger wirft Baden-Württembergs Datenschützerin Polizei und Behörden in ihrem neuesten Jahresbericht vor / Kultusminister Meyer-Vorfelder im Visier von Ruth Leuze / AIDS-Registrierung sowie weitere Verstöße beklagt ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier
Seit acht Jahren vertreibt er die letzten freundlichen Hoffnungen zum neuen Jahr, ebenso lange gilt er als schonungslose Offenlegung des vergangenen: der Bericht der Datenschutzbeauftragten Baden- Württembergs Ruth Leuze. Die Volkszählung, ihr schmählicher Beginn im letzen Mai und das noch lange nicht beendete staatliche Datenchaos, Aushorchung, Nötigung und letztlich auch der Betrug gutgläubiger Bürger, ist dieses Mal ihr Thema. „Maßlose Über reaktion“ wirft Frau Leuze der Polizei, dem Landeskriminalamt und dem Innenminister des Landes vor. Ihre Kritik an der Durchführung der Volkszählung, so Frau Leuze, sei vom Finanzminister und den Erhebungsstellen weitgehend ignoriert worden. Ihre Bemühungen hätten Angriffe von Politikern ausgelöst, die alles bisherige in den Schatten stellten. Die Volkszählung sei zum Prüfstein für Staatstreue gemacht worden, durchgesetzt mit allen Mitteln. Nur die Androhung von Zwangs- und Bußgeldern, Gerichts- und Anwaltskosten bewog viele Bürger letztlich, ihre Bögen auszufüllen.
Willfährigster Helfershelfer war Baden-Württembergs Polizei. Bereits im Februar vergangenen Jahres hatte das Landeskriminalamt eine Nachrichten- und Informationsstelle eingerichtet, Erkenntnisse über Aufrufe, Aktionen und Veranstaltungen zum Boykott der Volkszählung sollten unverzüglich mitgeteilt werden. Im April lagen bereits 130 Meldungen vor, Ende Oktober waren es über 600. Erfaßt wurden Informationsstände und Referenten für Veranstaltungen, auch wenn sie das staatszersetzende Wort vom Boykott nicht im Munde führten. Namen und Daten von Personen, 120 an der Zahl, die sich bestenfalls einer Ordnungswidrigkeit schuldig machten, wanderten in die sensibelste Datei der Polizei – APIS, den Speicher für Terrorismus, Staatsfeinde und Landesverrat. Gelöscht wird dort, anders als bei der Volkszählung, nichts mehr. Jeder Terrorist, meinte ein Sprecher des Stuttgarter Innenministeriums, habe einmal mit Kleinigkeiten angefangen.
Doch nicht allein mit der Volkszählung, ihren Mängeln, und damit, daß die Datenflut von 9 Millionen Landesbürgern jetzt ungeschützt in den Korridoren des Statistischen Landesamtes lagern, befaßte sich der Datenschutzbericht. Auch der Kultusminister dieses Landes geriet ins Visier der Datenschützerin, weil er sich beharrlich weigert, die Weitergabe von Daten über Schüler und deren Eltern einzustellen. Wenig erfreut war auch eine Elternvertreterin, als sie eines Tages, wie andere aufgefordert wurde, an einer Wahlkampfveranstaltung von Mayer- Vorfelder teilzunehmen.
AIDS, so Frau Leuze, ist auch für den Datenschutz eine Herausforderung, wird ein Betroffener erfaßt, so führe das leicht ins Ab seits. In baden-württembergischen Polizei-Computern wird aber registriert, egal woher die Informationen oder auch Denunziationen kommen. Bisher 107 Fälle. Diese Datei sei so unsinnig wie gefährlich. Manche AIDS-Registrierte seien nur durch Denunziation in die Kartei geraten.
Wenig Verständnis für den Datenschutz habe man auch im Stuttgarter Regierungspräsidium. Dort waren im vergangenen Jahr im Planfeststellungsbeschluß zur Erweiterung des Stuttgarter Flughafens die Daten von über 80.000 Flughafengegnern veröffentlicht worden. Dieselben Daten waren – unvermittelt – auch im Personalcomputer einer High-Tech- Firma erschienen.
Dennoch, das baden-württembergische Innenministerium ist überzeugt, ganz im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung, dem Da tenschutz zu genügen. „Ich glaub, mich tritt ein Pferd“, meint da die Datenschützerin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen