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NUKEM: Eiterbeule platzt

Frankfurt(taz) – Die Historie der bundesdeutschen Atommutter NUKEM ist eine Skandalgeschichte. Die mehrheitlich den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (RWE) und der Frankfurter Degussa gehörende und vom damaligen SPD-Ministerpräsidenten Georg August Zinn 1960 ins hessische Hanau geholte Brennelementefabrik bildete den Grundstein für den Einstieg der Bundesrepublik in die großtechnologische Nutzung der Atomenergie zu angeblich friedlichen Zwecken. NUKEM baute die Brennelemente für alle Forschungsreaktoren in der BRD und lieferte darüberhinaus Brennstäbe für Test-Reaktoren in Brasilien, Indonesien, Peru, den USA und Japan. Innerhalb des sogenannten Brennstoffkreislaufes war die NUKEM für die Konversion von Uranhexafluorid zu Uranoxid zuständig und fungierte als Lizenzgeber für ausländische Brennelementefabriken. So wurde etwa die schwedische ASEA-Atom in Västeras mit einer NUKEM-Lizens gebaut; auch in Indonesien steht eine von NUKEM lizensierte Brennelementefabrik. Die Atommutter läßt in Namibia (Rössing- Mine) nach Uran schürfen, ist im Uran-Anreicherungsgeschäft tätig (Gronau) und beteiligte sich an den Projekt- und Planungsarbeiten für die bundesdeutsche Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Die Geschäfte der NUKEM entwickelten sich rasant und schon 1963 wurde die Atommutter von einer Tochter „entbunden“, die den Namen ALKEM erhielt und die fortan für die Produktion von plutoniumhaltigen Brennelementen zuständig war. In die ALKEM stieg kurze Zeit später der Stromgigant KWU ein (60 AKW-Produzenten der Republik – KWU und RWE – voll im Brennelementegeschäft engagiert. Zu 40 Reaktor-Brennelemente- Union(RBU) beteiligt und zu 67% an der Top-Skandalfirma Transnuklear.

Die Verantwortlichkeit des NUKEM-Managements für den Transnuklearskandal, die jetzt zur Stillegungsverfügung durch Bundesumweltminister Töpfer geführt hat, ist nur der katastrophale Schlußpunkt in einer Affairenkette, die erst durch die zähe Recherchenarbeit der Hanauer Bürgerinitiative(IUH) und später auch der Grünen ans Licht der Öffentlichkeit kam. Schon bei der Gründung der Hanauer Nuklearfirmen wurde – nach Auffassung des Berliner Rechtsanwalts Geulen – gegen Recht und Gesetz verstoßen. In einem von Ex-Umweltminister Joschka Fischer in Auftrag gegebenen Gutachten stellte Geulen 1986 unmißverständlich fest, daß für keine der Hanauer Brennelementefabriken jemals Anlagegenehmigungen erteilt oder Standortentscheidungen politisch oder juristisch gefällt worden seien, obgleich der Standort Hanau in der Nähe mehrerer Großflughäfen liegt und zum dichtbesiedelten Rhein-Main-Gebiet gehört. Doch die Interventionen der Grünen auf der landespolitischen Ebene scheiterten wiederholt am entschiedenen Eintreten der sozialdemokratisch geführten Landesregierungen der Ära Börner für die Interessen der Hanauer Atom- und Plutoniumfabriken, die Störfälle in Serie produzierten. Allein in den letzten drei Jahren kam es zu mehr als zwanzig Stör- und Unfällen bei der NUKEM. So wurden im Oktober und Dezember 85 mehrere Mitarbeiter der hessischen Landesanstalt für Umwelt bei Messungen der NUKEM-Abluft kontaminiert, u.a. auch mit Alpha-Strahlung. Im Januar 86 wurde im Kanalsystem der benachbarten Degussa radioaktiv verseuchter Schlamm endeckt. Die Kontaminierung des Schlamms war auf eine „Reinigungsaktion“ in den NUKEM- Betriebsanlagen zurückzuführen. Ganz dick kam es ein Jahr später: Mindestens 16 NUKEM-Mitarbeiter wurden mit Plutonium verseucht, weil eine Uransendung aus dem Kernforschungszentrum in Karlsruhe falsch deklariert war. Damit war der Beweis erbracht, daß die NUKEM keine oder nur unzureichende Material-Eingangskontrollen durchführte. Insgesamt wurden 60 Arbeiter in Karlsruhe auf die Kontaminierung mit Plutonium hin untersucht. Bis heute liegt noch kein abschließender Untersuchungsbericht vor. Etwa zur gleichen Zeit platzte in Wiesbaden die rot-grüne Regierungskoalition, da Ex-Wirtschaftsminister Ulrich Steger(SPD) der Plutoniumfabrik ALKEM eine beantragte Produktionsausweitung genehmigen wollte und Ministerpräsident Börner eine Bestandsgarantie für alle Hanauer Atomfabriken abgab. Die nachfolgende Wallmann- Regierung kündigte dann am 10. Juni 87 die vorübergehende Stilllegung der NUKEM an, da „Sicherheitsmängel“ offensichtlich geworden seien. Mit der „Selbststillegung“ kamen die NUKEM- Manager am 3. Juli einer entsprechenden Weisung von Umwelt- und Reaktorminister Weimar zuvor. 36 Sicherheitsmängel wurden in nur sechs Wochen beseitigt und die Fußböden bekamen einen neuen „dekontaminierenden“ Anstrich. Eine von Weimar angeordnete Mengenüberprüfung der bei den Hanauer Betrieben gelagerten und zur Verarbeitung anstehenden nuklearen Materialien ergab seinerzeit „keinerlei Ungereimtheiten“ (Weimar).

Daß Bundesumweltminister Töpfer jetzt die atomrechtliche Genehmigung für NUKEM „ausgesetzt“ hat, hängt vordergründig mit der Verantwortlichkeit der NUKEM-Manager für den Transnuklear-Skandal zusammen. Die Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung, die von den Grünen seit Jahr und Tag angezweifelt wurde, wird nun auch von Töpfer und Wallmann in Frage gestellt.

Angesichts der befürchteten Proliferation (illegale Weiterverbreitung) von spaltbarem Material wird wohl auch Hessens smarter Umweltminister Weimar sein Urteil über die NUKEM (“keinerlei Ungereimtheiten“) korrigieren müssen. Klaus-Peter Klingelschmitt

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