: DDR: Der Kalte Krieg gegen die Opposition
■ Fünf neue Verhaftungen in Ost-Berlin, darunter Wolfgang Templin und Freya Klier / Vorwurf der Spionage gegen mehrere Oppositionelle erhoben
Berlin (taz) – Die DDR-Behörden haben gegen mehrere Oppositionelle Ermittlungsverfahren wegen des absurden Verdachts „landesverräterischer Beziehungen“ eingeleitet. Außerdem wurden am Montag mehrere Hausdurchsuchungen und fünf neue Festnahmen bekannt. Kenner der Szene gehen davon aus, daß die DDR-Führung jetzt in lange nicht mehr dagewesener Härte versuchen werde, die Oppositionsbewegung zu zerschlagen.
Die Ostberliner Nachrichtenagentur ADN ging erstmals indirekt auf die Protestaktionen ein, die im Zusammenhang mit der SED-Kundgebung am 17. Januar zum Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg stattfanden und zu Massenverhaftungen und der teilweisen Ausreise (bisher 54) der Demonstranten geführt hatten. In einer ADN-Meldung hieß es, auch gegen den Liedermacher Stephan Krawczyk würden die Ermittlungen um den Verdachtspunkt „landesverräterische Beziehungen“ erweitert. Bisher war gegen ihn im Zusammenhang mit den Protestaktionen vom 17. Januar wegen „krimineller Handlungen“ ermittelt worden. Krawczyk, der genau wie die anderen jetzt Verhafteten nicht ausreisen will, sitzt neben Andreas Kalk (21) und Till Bötdcher (17) (beide Umweltbibliothek) seit dem 17.1. in Haft. Am Montag früh haben die DDR-Behörden darüber hinaus die Regisseurin und Lebensgefährtin des Sängers, Freya Klier, festgenommen. Außerdem wurden vier Leute aus der wohl bedeutendsten unabhängigen Friedensgruppe der DDR, die außerhalb der Kirche existiert, festgenommen. Es handelt sich dabei um die Mitglieder der Gruppe „Frieden und Menschrechte“ Ralf Hirsch, Bärbel Bohley, Werner Fischer und Wolfgang Templin.
Meldungen der Nachrichtenagentur AP zufolge wollte die DDR-Justiz noch am Montag abend Urteile gegen verhaftete Oppositionelle aussprechen. Das Ostberliner „Kontaktbüro“, eine Art Ermittlungsausschuß, wußte gestern abend noch nichts von anstehenden Schnellverfahren. Hohe Kirchenvertreter sagten am Nachmittag vor Journalisten in Ostberlin nach einem Gespräch mit dem zuständigen Sekretariat für Kirchenfragen: „Wir haben die Hoffnung, daß dabei Strafaussetzungen zur Bewährung ausgesprochen werden.“
Die Gruppe „Frieden und Menschenrechte“, die auch die hektographierte politische Kleinzeitschrift Grenzfall herausgibt, war zuletzt im November ins Visir der Stasi geraten. Damals waren Druckmaschinen und die neueste Ausgabe des Blättchens in einem Keller beschlagnahmt worden. Seitdem stand die Gruppe unter ständiger Bewachung, wie sie selbst mehrmals in der Vergangenheit betonten. Trotzdem gelang es ihnen, zum Jahreswechsel eine neue Ausgabe des Grenzfall herauszubringen. Darin beschreibt die Gruppe auch ihr politisches Selbstverständnis. Sie setzt auf Demokratisierung und auf eine Friedenspolitik, die die Teilung Europas überwinden hilft. In dem Selbstverständnispapier heißt es auch: „Unser Friedensbegriff enthält aber nicht nur die Vorstellung der Überwindung der Ursachen von Aggressionen und Gewalt in den internationalen Beziehungen, sondern auch im Innern der Staaten.“ Der innere Zustand einer Gesellschaft könne genauso friedensgefährdend sein wie äußere Bedrohung.
In einer Resolution haben am Montag Wolf Biermann, Sarah Kirsch, Erich Loest, Rainer Kunze und andere ehemalige DDR-Oppositionelle ihre Solidarität mit den Verhafteten bekundet. In ihrer Resolution heißt es: „Nein, wir bitten nicht. Wir können auch nicht drohen, denn wir haben keine Macht. Aber wir haben ein steinealtes Gedächtnis und wir haben das offene Wort und werden es einsetzen im Kampf um die Freilassung unserer Freunde in der DDR.“
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