Mahnwache in Ost–Berlin

■ Staatsanwalt fordert acht Monate Haft für Oppositionelle Vera Wollenberger wegen „Rowdytums“ / Sechs vorübergehende Festnahmen in Leipzig und Weimar

Berlin (taz) - Mit einer Mahnwache haben gestern rund 30 Menschen ihre Solidarität mit Vera Wollenberger demonstriert. Mit Kerzen in der Hand stellten sie sich vor einer Kirche gegenüber dem Stadtbezirksgericht Lichtenberg auf. Gegen die Mitbegründerin der „Kirche von unten“ begann dort gestern der Prozeß. Der Staatsanwalt forderte acht Monate Haft, der Anwalt plädierte auf Freispruch. Vera Wollenberger war am 17.Januar auf dem Weg zur offiziellen „Kampfdemonstration für Rosa Luxemburg“ festgenommen worden und saß seitdem in Haft. Nachdem man erst wegen „Zusammenrottung“ gegen sie ermittelt hatte, wurde die Anklage gestern auf „Rowdytum“ abgeändert. Der Prozeß fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Das DDR–Außenministerium hatte es abgelehnt, in der DDR akkreditierte westliche Journalisten zu dem Prozeß zuzulassen. Unterdessen mehren sich die Proteste gegen die Inhaftierung Oppositioneller in Ost–Berlin. Die Vorsitzende des bundesdeutschen Schriftstellerverbandes, Anna Jonas, forderte in einem Brief an den Ministerrat der DDR die sofortige Freilassung des Liedermachers Stephan Krawczyk, der Regisseurin Freya Klier und der anderen Dissidenten. Es sei „unerträglich, Menschen deshalb im Gefängnis zu wissen, weil sie sich unter der Losung Rosa Luxemburgs „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ versammelt hatten. Jonas protestierte dagegen, daß bei den Hausdurchsuchungen Bücher von Autoren beschlagnahmt wurden, die Mitglieder des Schriftstellerverbandes bzw. des PEN–Clubs seien. Auch in der DDR mehren sich die Proteste. So planen Kirchengemeinden in Halle, Potsdam und Schwedt für die nächsten Tage Solidaritätsandachten für die Inhaftierten. Gestern hatte die DDR–Justiz sechs Mitglieder der unabhängigen Friedensbewegung freigelassen, die am Dienstag in Leipzig und Weimar festgenommen worden waren. Clara Roth