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„Verflucht sei die Kohle!“

In einem kleinen türkischen Dorf dringen Frauen in das nahegelegene Kohlekraftwerk ein und schlagen alles kurz und klein / Die Gendarmerie nimmt sie fest Grund für die Wut: Der Kohleabbau hat das Dorf zerstört und vom Minenbesitzer und Dorfvorsteher abhängig gemacht / Eine Parabel für die heutige Türkei  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Zwei schwarze Augen funkeln aus einem faltigen Gesicht. Schwarz ist ihr Kleid und ihr Kopftuch. Mit den anderen 30 Frauen, die vor wenigen Stunden aus dem Gefängnis entlassen worden und in ihr Dorf zurückgekehrt sind, steht sie nun auf dem schlammigen Dorfplatz mitten in einem Pulk kreischender Kinder. „Mein Sohn, ich bin 60 Jahre alt und habe mein ganzes Leben lang geschuftet. Elf Köpfe zählt unsere Familie. Seit die verfluchte Mine hier im Dorf ist, hungern meine Enkel. Hätte ich denn untätig zusehen sollen?“

Sie gehört also auch zu der „kriminellen Vereinigung“ gewalttätiger Frauen und Kinder, die eine Woche zuvor mit Stöcken und Steinen den Firmensitz der Kohlegesellschaft Bük kurz und klein geschlagen haben. Mehrere Hundertschaften Militär waren daraufhin ins Dorf beordert worden, um der Frauen Herr zu werden. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Soldaten hatten die Frauen eingekesselt. Über 100 Frauen und Kinder, die an der Aktion beteiligt waren, wurden verhaftet. 20 Frauen sitzen immer noch im Gefängnis ein; wegen „Landfriedensbruch, Sachschaden und Behinderung des Arbeitsfriedens“ werden sie nun angeklagt.

Die Aktion der Frauen und Kinder hat eine lange Vorgeschichte. Jahrelang kannte niemand in der Türkei Alpagut, den Namen eines kleinen Dorfes mit 2.000 Einwohnern in der Nordwest-Türkei. Mais, Sonnenblumen und Weizen wurden dort angebaut, die Bauern hatten ein – wenn auch bescheidenes – Auskommen. Wenige Kilometer vom Dorf entfernt baute eine kleine staatlich betriebene Mine unter Tag Kohle ab. Die Kohle kam den Bauern nicht ungelegen, verdiente doch so mancher bei der Mine etwas dazu.

Das friedliche Miteinander von Landwirtschaft und Kohle gehört längst der Vergangenheit an. Der kleine idyllische Ort, dessen Weiden und Felder von einem dichten Fichtenwald umgrenzt werden, sollte vom Putsch des Militärs nicht ungeschoren davonkommen: Die neuen Herren dekretierten ein neues Kohlegesetz, die staatlichen Minen wurden an private Eigentümer verkauft. Seit 1984 betreibt Nurullah Ercan, dem Dutzende von Minen gehören, hier die Kohlegesellschaft Bük.

Bulldozer beenden den Frieden

Seither zählt der Profit. Der Übertageabbau von Kohle ist zwar ökologisch verantwortungslos, aber gewinnbringender. Die Bulldozer, die gewaltige Erdmassen abtragen, stoßen bereits nach drei Metern auf Kohle. Riesige Flächen sind bis zu 20 Metern Tiefe ausgehoben. Folge war, daß der Humus der umliegenden Felder abrutschte. Tiefe Risse haben sich in die Felder eingefressen. Kein Getreide, kein Gemüse wächst mehr auf Alpaguts Feldern.

„Verflucht sei die Kohle!“, schimpft die alte Frau mit den funkelnden schwarzen Augen. „Wir hatten 21 Dönüm fruchtbares Land (circa 21 Hektar), jetzt ist alles zerstört. Nach der Zerstörung haben sie uns enteignet und 70.000 TL (90 DM) pro Dönüm gezahlt. Ein Hohn ist das.“

Sobald die Bauern Prozesse gegen die Mine anstrengen, weil ihre Felder unfruchtbar werden, stellt die Betriebsleitung beim Staat den Antrag, daß die Felder für einen reibungslosen Betriebsablauf in den Besitz der Mine überführt werden müssen. Der Staat ver staatlicht und übergibt das Land dann offiziell der Mine.

Da die Landwirtschaft das Dorf nicht mehr ernährte, verschuldeten sich viele Bauern und kauften LKWs, mit denen sie in Auftrag der Mine Kohle transportierten. Nachdem die Mine die traditionellen bäuerlichen Sozialbeziehungen zerstört hatte, waren die freien Bauern zu freien Fuhrleuten geworden, die jedoch völlig vom Minenunternehmer abhingen. Die Fuhrpreise wurden gedrückt, Schulden konnten nicht zurückgezahlt werden. Daher gründeten Dorfbewohner eine Kooperative und verlangten höhere Transportpreise. Es war ein willkommener Anlaß für die Mine, dem kleinen Alpagut den endgültigen Todesstoß zu versetzen. „Der Minenunternehmer fürchtete unsere Solidarität. Er hat gesagt, er braucht keine Kooperative. Keiner von uns hat mehr einen Auftrag bekommen“, erzählt der Vorsitzende der Kooperative Gründogan. Die Weigerung der Mine, Fuhraufträge an die Kooperative zu vergeben, ließ das Faß überlaufen. Zeit für die Frauen: Sie besetzten die Mine und zogen den Betriebsleiter zur Rechenschaft. „Wir haben sofort alle Gendarmerieposten um Hilfe gerufen“, berichtet der junge Betriebsleiter der Mine und deutet auf sein Walkie- Talkie. „Wäre das Militär nicht gekommen, hätten uns diese bösartigen Frauen gelyncht. Das gesamte Mobiliar haben sie zerschlagen.“ Auf die Frage nach den Auswirkungen des Kohleabbaus antwortet er lapidar: „Es zerstört zwar die Natur, aber es ist sehr rentabel.“ Und: „Fuhraufträge erteilen wir dem, der uns paßt.“

Sippenhaft

Ungenutzt stehen nun die LKWs am Rande des Dorfplatzes, den Kindern zur Freude, die sie wie Klettergerüste auf Spielplätzen zum Spielen benutzen. Ich frage die aus dem Gefängnis entlassenen Frauen, wie sich die Auseinandersetzungen auf der Mine am Morgen des 22. Januar abgespielt haben. Eine junge Frau, vielleicht 17 Jahre alt, drängt sich vor. „Der Betriebsleiter hat uns provoziert. Wir kennen die Lüge und das Verschweigen nicht. Ich sage es ganz offen. Dann haben wir aus unserem Zorn heraus zerstört. Und wir bereuen es nicht. Die Gendarmerie ist gekommen und hat uns bis zum nächsten Morgen in der Lagerbaracke eingepfercht. Einen Tag später wurden wir nach Kemalpasa gebracht und von dort ins Gefängnis nach Bursa. „Seid nicht traurig“, hat der Gefängniswärter zu uns gesagt, als wir eingeliefert wurden. Als ob wir einen Grund hätten, zu trauern.“

Auch die Kinder, die bei ihren Müttern waren, wurden von der Gendarmerie bis zum nächsten Morgen eingesperrt. „Die Leute zerstören unsere Felder, geben uns keine Kohle“, sagt der fünfjährige Ahmet Turan. Gespräche über Gendarmen, Prügel und im Gefängnis einsitzende Eltern gehören heute zum Kinderalltag in Alpagut. Viele der Kinder sind immer noch ohne Eltern, denn die Gendarmerie praktiziert Sippenhaft. Auch die Ehemänner der Frauen, die an der Besetzung der Mine beteiligt waren, sind später verhaftet worden.

Die meistgehaßte Person im Dorf ist ohne Zweifel nicht der Minenbesitzer, sondern der Dorfvorsteher Ahmet Atik. Die Bauern sehen in Atik, der mehrere LKWs besitzt, den Agenten der Kohlegesellschaft. Er hat sich mit dem Minenunternehmer arrangiert, er war der Mann im Hintergrund, der der Kooperative die Aufträge kappte. Er und seine Verwandten fahren für den Unternehmer. „Er kassiert Kommission bei allen LKWs, die die Mine anfahren. Außerdem war er es, der dem Militär Listen mit den Namen der Dorfbewohner übergab, die anschließend verhaftet wurden“, erzählen die Bauern im Dorfcafe. Schon die alte Frau mit den schwarzen Augen hatte mir erzählt, wie der Muhtar, der Dorfvorsteher, mit gefälschten Dokumenten und bestochenen Zeugen Felder der Bauern an die Mine verschachert hatte. Atik ist seit den Vorfällen verschwunden. Sein modernes, weißgekalktes Haus wirkt wie eine Villa unter den ärmlichen Bretterbuden im Dorf.

„Meine naiven Dörfler...“

Per Zufall treffe ich Atik, drei Fahrstunden von dem Dorf entfernt, in Bursa. Der seit über eine Woche von der Lokalpresse gesuchte Mann betritt gerade die Redaktionsräume der Lokalzeitung Bursa Hakimiyet. Als über Hundert der Dorfbewohner seines 2.000-Seelen-Dorfes vom Militär verhaftet wurden, setzte er sich ab ins ferne großstädtische Bursa. „Meine naiven Dörfler, die dummen Frauen, sie haben große Straftaten begangen. Ich schäme mich für sie. Den Täter muß aber das Gesetz strafen. Meine naiven Bauern hatten ein Auge auf die Mine geworfen, aber es ist nicht jedermanns Los, eine Mine zu führen. Auch mir haben sie angeboten, in die Kooperative einzutreten, aber wofür eine Kooperative? Wir leben in einer Marktwirtschaft, wie die Großen sagen. Der Unternehmer muß doch nicht alle ernähren.“ Wie ein Angeklagter sitzt er uns gegenüber und sucht nach Bestätigung für sein Handeln. In jedem zweiten Satz heißt es: „...wie auch unsere Großen meinen“. Mit den Großen meint er die Herrschenden, meint den reichen Grubenbesitzer, die belesenen und wortgewaltigen Politiker, den Ministerpräsidenten Özal, der doch verkündet hat, daß mit der Privatisierung aller Wirtschaftsbereiche die Türkei ein Jahrhundert überspringen wird, meint die Generäle – ja, das System schlechthin. „Es ging mir am besten nach der Militärphase 1980. Da hat sich kaum einer über mich beschwert“, gesteht er offen.

„Der lebt nicht mehr lange“, hatte ein Lokalreporter über Atik bemerkt. Schon vor anderthalb Jahren ist der Muhtar mit einem Messer angegriffen worden. Nachdem er über Beziehungen zum Minenunternehmer noch reicher und mächtiger geworden war, hatte er seine gesellschaftliche Position mit dem Privaten verbunden. Er wollte über die Ehefrauen anderer Bauern verfügen.

Die Sevengils stellten ihm eine Falle. Der Mann täuschte vor, für mehrere Tage das Dorf zu verlassen. In Wirklichkeit wartete er mit einem Messer in der Hand im Schlafzimmer seiner Frau auf den Muhtar. Seit dieser Nacht hat der Muhtar eine Narbe in seinem Bauch. „Mein Herr, ich bin unschuldig“, sagt Atik mit Tränen in den Augen und von Todesangst gequält. Fast könnte man Mitleid mit ihm haben. Er, der doch nur das Werkzeug des Minenunternehmers war, kann ohne Soldaten nicht mehr das Dorf betreten.

Nicht er wird jedoch die Geschichte des Dorfes bestimmen. Sie wird von anderen gemacht. „Wir kriegen bald die Genehmigung für Dynamiteinsatz. Wir werden dann 500 Mann beschäftigen und unsere Produktion verzehnfachen. Die Mine zählt, das Dorf ist sowieso dahin“, war die Zukunftsvision des Betriebsleiters der Mine zum Abschluß unseres Gesprächs. „Den Mächtigen wird die Welt gehören“, hatte die junge Frau, die vom Gefängnis ins Dorf zurückkehrte, gesagt.

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