INTERVIEW: "Man wird sich schon freuen, wenn man überhaupt einen Beschluß faßt"
■ Sicco Mansholt war von 1958 bis 1972 Agrarkommissar der EG und gilt als Vater der EG–Agrarmarktordnung
taz: Herr Mansholt, wie fühlt man sich als Mitbegründer des EG-Agrarmarktes, der die Weichen für die heutigen Agrarüberschüsse gestellt hat?
Mansholt: Wir tragen natürlich alle Verantwortung, die EG, die Regierungen und auch die Bauern. Die Ursache für die Überschußproduktion ist aber die ungeheure Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft. Die technologische Entwicklung hat dazu beigetragen, daß die Produktivität um etwa vier bis fünf Prozent pro Jahr gestiegen ist.
Was bezweckten Sie damals mit Ihrer gemeinsamen Agrarpolitik?
Damals wie heute ist das Ziel, den Bauern einen Lohn und soziale Absicherung zu gewährleisten, die etwa den industriellen oder anderen Bereichen entspricht.
Warum wollte man denn damals Europa unbedingt als Agrarstandort erhalten? Im Rahmen einer weltweiten Arbeitsteilung hätte man doch in dieser Industrieregion auf die Landwirtschaft verzichten können.
Nein, wir haben immer gesagt, Europa soll seinen Ernährungsbedarf selber produzieren können und nicht von unsicheren Weltmärkten abhängig sein.
Das klingt ja fast nach Autarkiebestrebungen.
Nein, man muß aber immer dafür sorgen, daß man den größten Teil des Ernährungsbedarfes im eigenen Land sichern kann. Wir sind ja auch immer noch der größte Agrarimporteur der Welt.
Der Fehler damals war also Ihrer Ansicht nach, daß niemand die Produktivitätssteigerung vorausgesehen hat...
...das ist richtig. Die Produktion pro Hektar verdoppelt sich in einer Generation.
Wie würde denn der Mansholtplan aussehen, wenn Sie ihn noch einmal verfassen könnten?
Die Produktionskapazität muß herabgesetzt werden. Wir müssen nach einem Marktgleichgewicht streben, und das geht nicht über die Preise. Eine Preissenkung setzt die Produktion nicht herab.
Heißt das, daß es auch noch zu viele Bauernhöfe gibt, oder sollten da lieber die großen agroindustriellen Betriebe ihre Produktion drosseln? Sie haben ja 1960 gesagt, acht Millionen Bauernhöfe sollten innerhalb einer Generation von der Landkarte verschwinden.
Das ist doch ganz normal, wenn die Produktivität steigt, muß die Agrarbevölkerung stark abnehmen.
Man könnte doch aber auch anstreben, daß die großen Bauernhöfe abspecken.
Die kleinen Betriebe sind nicht zu retten, nicht über höhere Preise. Zur Kapazitätsverringerung müssen allerdings die größeren Betriebe ran. Von den acht Millionen Bauernhöfen in Europa sind fünfeinhalb Millionen sehr klein, sie produzieren lediglich zwanzig Prozent des Ertrages. Die restlichen zweieinhalb Millionen, Familienbetriebe und größere Unternehmen, produzieren dagegen achtzig Prozent. Flächenstillegungen müssen also in ihrem Bereich stattfinden. Insoweit stimme ich Ihnen zu, daß die kleineren Betriebe aus der Kapazitätsverringerung ausgenommen werden können, ebenso wie die extensiv bewirtschafteten Regionen in Süditalien, Schottland, Irland, aber auch Teile Deutschlands. In Holland haben wir dagegen eigentlich nur Familien- und größere Betriebe.
Was hieße das aber für die Überlebenschancen der kleineren Betriebe?
Viele werden aufhören, weil es keine Nachfolge mehr gibt. Es muß dafür gesorgt werden, daß ihr Boden aus der Produktion kommt und nicht an die größeren angehängt wird.
Die Alternative wäre doch die spezielle Förderung kleinerer Veredelungsbetriebe.
Wie wollen Sie das tun? Über Einkommensausgleich? Das sehe ich überhaupt nicht. Bis zu welcher Höhe soll man ausgleichen, wie soll man den Neben- und Zuerwerb einbeziehen? Das erfordert einen ungeheuren Verwaltungsaufwand. Dann wird sich auch der kleinere Mittelstand aus anderen Bereichen mit entsprechenden Ansprüchen melden.
Man könnte doch einmal mit gestaffelten Erzeugerpreisen anfangen.
Das halte ich nicht für möglich, da habe ich auch noch keinen Vorschlag von den Ministern gesehen. Die denken darüber immer nach, da möchte ich aber mal einen genauen Kostenplan sehen.
Trauen Sie der jetzigen Ministerriege und der EG- Bürokratie überhaupt den Willen zu, fundamental etwas zu ändern?
(lacht) ...ich kann dazu nur sagen, daß die Absichten der Kommission schon gut sind, die Methoden dagegen kritisiere ich. Die Getreideproduktion über die Herabsetzung des Erzeugerpreises um zweineinhalb Prozent zu drosseln, ist Unsinn. Die Preise sind in den letzten Jahren regelmäßig um drei Prozent herabgesetzt worden, die Produktion dagegen um drei Prozent gestiegen. Wenn Sie die Produktion herabsetzen wollen, müssen Sie um ungefähr zwanzig Prozent heruntergehen.
Sie sind also bezüglich der nächsten Gipfel pessimistisch?
Die Gipfel, die Gipfel... Man wird sich schon freuen, wenn man überhaupt einen gemeinsamen Beschluß faßt. Aber der Beschluß wird zu nichts führen. Es ist ein Streit um des Kaisers Bart.
Wie haben Sie sich eigentlich immer gefühlt, als Sozialist, Bauernfunkionär, Agrarminister und Agrarkommissar der EG?
Wissen Sie, mein Großvater war in Groningen sozusagen schon Sozialist, bevor es eine sozialistische Partei gab, mein Vater als Großbauer ebenfalls. Man kann nicht sagen, daß es der Normalfall wäre, aber es gibt bei uns schon sozialistische Bauern.
Würde Sie es dann reizen, als Agrarkommissar noch einmal einen Mansholtplan aufzulegen?
Ach, wissen Sie, ich bin jetzt achtzig Jahre alt. Interview: Ulli Kunkel
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