Karlsruhe verweigert Urteil

Nach über fünf Jahren Beratung weisen die acht Karlsruher Richter eine Verfassungsbeschwerde gegen die Zwischenlagerung von Atommüll zurück  ■ Von Felix Kurz

Karlsruhe (taz) – Mehr als fünf Jahre benötigte der 1.Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), um sechs Klägern gegen das atomare Zwischenlager in Gorleben mitzuteilen, ihre Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Mit atomrechtlichen Fragen belasteten sich die Richter in ihrem Beschluß nicht. Dies sei die Aufgabe der Fachgerichte.

Sechs niedersächsische Bürger, die in unmittelbarer Nähe des Zwischenlagers in Gorleben wohnen oder arbeiten, hatten 1982 gegen den Vollzug der Baugenehmigung erfolglos im einstweiligen Rechtschutzverfahren vor den Verwaltungsgerichten geklagt und sich deshalb an das BVerfG gewandt. Die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) will in den beiden Hallen abgebrannte Brennstäbe in sogenannten Castor-Behältern (insgesamt 1.500 Tonnen) und schwach-radioaktive Abfälle lagern. Klagen gegen die Baugenehmigung selbst haben keinerlei aufschiebende Wirkung auf den Vollzug der Baumaßnahmen. Mit einem gesonderten Verfahren versuchten die Kläger auch den Vollzug zu stoppen und fielen jetzt in Karlsruhe damit durch. In der Hauptsache ist die Klage noch beim Verwaltungsgericht in erster Instanz anhängig.

Nach Ansicht der Beschwerdeführer sind atomare Zwischenlager eben nicht wie normale Bauwerke zu klassifizieren. Deshalb sollte bereits bei der Bau- und nicht erst bei der Betriebsgenehmigung ein atomrechtliches Verfahren, das die Beteiligung der Öffentlichkeit zwingend vorschreibt, durchgeführt werden. Es fehle auch an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für Errichtung und Betrieb von Zwischenlagern. In der Tat sind sie im Atomgesetz nicht erwähnt.

Als dritten Grund führten die Beschwerdeführer an, das Lager verletze schon im Normalbetrieb durch die Aussendung gesundheitsgefährdender, radioaktiver Strahlen ihr Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und darüberhinaus sei auch mit dem Eintreten von Störfällen zu rechnen.

Mit all diesen Argumenten befaßten sich die acht Verfassungsrichter nicht. Sie verwiesen die klagenden Bürger an die Verwaltungsgerichte. Dort sei der Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft und die rechtliche Lage noch nicht abschließend geklärt. Die Karlsruher Richter wollten insbesondere nicth ausschließen, daß auch die Fachgerichte die Zwischenlagerung durch Versagung der Genehmigung noch stoppen könnten. Den Fachgerichten stellten sich schwierige Fragen, deren Beantwortung noch nicht in jeder Hinsicht gesichert ist“.

Vor der verfassungsrechtlichen Einordnung von Zwischenlagern der vorliegenden Art in das Schutzsystem des Atomrechts seien die tatsächlichen Auswirkungen solcher Lager auf ihre Umgebung von Bedeutung, so das BVerfG. Diese fachgerichtlichen Vorfragen allerdings hätten die Verwaltungsgerichte zu klären.

In einem Punkt allerdings legten sich die Karlsruher Richter schon jetzt fest. Der Gesetgeber habe, auch wenn nicht ausdrücklich im Atomgesetz erwähnt, „im Grundsatz“ die Zwischenlagerung abgebrannter Elemente gebilligt. Das ergebe sich allein schon daraus, daß er den Betrieb der AKWs bei der aktuellen Entsorgungslage „zugelassen“ habe.

Seit 1982 ist eine Klage gegen die Baugenehmigung des Zwischenlagers in Gorleben beim Verwaltungsgericht Stade anhängig. Sie soll jetzt nach dem Willen des BVerfG weiter betrieben werden.

Die Bundesregierung begrüßte gestern die Karlsruher Entscheidung in gewohnter Manier. Der stellvertretende Regierungssprecher Herbert Schmülling sagte, die Bundesregierung werde den Beschluß sorgfältig prüfen. Schon jetzt lasse sich aber sagen, daß die Entscheidung einer „weiteren Verwirklichung des Entsorgungskonzepts“ der Bundesregierung nicht entgegenstehe.

Der Gorlebener Landtagsabgeordnete der Grünen, Hannes Kempmann, nannte die Karlsruher Nicht-Entscheidung „unverständlich und bedauerlich“. In der augenblicklichen Situation, in der sich die Bedenken der AKW-Gegner wegen der ungeklärten Entsorgung täglich bestätigten, hätte das Gericht eine klare Aussage treffen müssen. „Davor hat sich das Verfassungsgericht eindeutig herumgedrückt.“