Spontandemonstration in Dresden aufgelöst

■ Ausreisewillige DDR-Bürger gehen nach den Gedenkveranstaltungen für die Zerstörung der Stadt im Zeiten Weltkrieg mit ihrem Anliegen auf die Straße / Mindestens fünf Festnahmen / Erbitterte Dispute zwischen Ausreisewilligen und anderen Oppositionellen

Berlin (ap/taz) – Mit dem Einsatz einer unbewaffneten Hundertschaft auf dem Neumarkt in Dresden hat die Polizei in der Nacht zum Sonntag eine Kundgebung von etwa 400 Personen aufgelöst, von denen die meisten in den Westen ausreisen wollen. Obwohl die Teilnehmer „Die Mauer muß weg“ und „Erich, rück den Schlüssel raus“ skandierten, griffen die Ordnungshüter erst nach eineinhalb Stunden um 23.30 Uhr ein. Die Demonstration fand am Rande des kirchlichen Gedenkens an den 43. Jahrestag der Bombardierung Dresdens statt und endete mit mindestens fünf Festnahmen.

Zum ersten Mal hätten sie den Mut gefunden, öffentlich ihre Forderungen vorzutragen, erklärten einige Teilnehmer. Eine Gruppe von zehn Aktivisten zündete auf der Freitreppe des Verkehrsmuseums Kerzen an und rollte Transparente aus wie: „Vernichtet nicht die Menschenrechte wie einst Dresden“, „Für Frieden und konsequente Einhaltung der Menschenrechte in der DDR“. Etwa 50 Umstehende kamen ihrer Aufforderung nach, sich ebenfalls auf die Treppe zu stellen. Auf die Frage aus dem Publikum, ob sie alle in den Westen wollten, riefen sie „Alle, Alle“. Einige der aus der Kirchenveranstaltung kommenden Passanten warfen den Ak tivisten daraufhin vor, das Gedenken an die Bombardierung mißbraucht und die Behörden unnötig provoziert zu haben. Wahrscheinlich aus der Menschenrechts- und Friedensbewegung stammende Umstehende skandierten anders als die Ausreisewilligen „Nur Freiheit wollen wir“. Daß die Protestaktion von den Veranstaltern der noch bis Montag dauernden ökumenischen Versammlung nicht mitgetragen wurde, war nicht nur an diesem Disput zu erkennen. Die 6.000 Menschen, die an dem ökumenischen Friedensgottesdienst in der Kreuzkriche teilgenommen hatten, zogen von dort aus zur Frauenkirche, um Kerzen anzuzünden und um für Frieden und Gerechtigkeit zu beten. Während dieses Zuges waren Plakate mit Aufschriften wie „Schwerter zu Pflugscharen“, „Frieden und Gerechtigkeit“, „Frieden und Freiheit“ gezeigt worden. Der sächsische Landesbischof Johannes Hempel hatte in seiner Predigt betont, „Unruhe um Gerechtigkeit, Frieden und unsere geliebte Erde“ brenne in den Herzen der Christen. In einer Veranstaltung hatte der Physiker Hans Jürgen Fischbeck aus Ost- Berlin vor der „falschen Fixierung auf die als ideal dargestellte westliche Konsumgesellschaft“ gewarnt. Fischbeck sprach unter großem Beifall auch von den Abgrenzungssyndromen in der DDR und kritisierte, daß innere Kritiker sofort als von außen gesteuert hingestellt würden.

Wie schwer sich die Kirche tut, ihre kritischen Ansätze von der Bewegung der Ausreisewilligen abzugrenzen, zeigt das Beispiel Ost-Berlin. Weil Fürbittgottesdienste von Ausreisewilligen ausgenützt werden könnten, wurden diese kurzerhand abgesagt. er